Ohrwürmer

Sprache hören

Die Toccata setzt ein. Und dann passiert es: Die Töne füllen nicht nur den Kirchenraum mühelos. Plötzlich wird alles groß und weit. Das Leben und die eigene Seele und auch der Moment. Kein Firlefanz oder Brimborium, sondern Ohrwürmer, die es nach Herzenslust auszuposaunen gilt. Um es in Luthers Worte zu fassen.

Wer von Bachs Musik berührt wird, den lässt sie nicht mehr los, ein Leben lang. Und besonders eindrucksvoll ist es, sie live zu hören, an einem originalen Bachort. Von denen gibt es in Thüringen zuhauf.

(K)ein Wort zu Bach

Die wichtigsten Stationen im Leben des Organisten und Kapellmeisters Johann Sebastian Bach kennt man: Geboren wird Bach 1685 in Eisenach, 1750 stirbt er in Leipzig. Die ersten Jahre verbringt er in Eisenach, dann in Ohrdruf, später in Arnstadt, Mühlhausen, Weimar, Köthen und dann Leipzig. Bach ist ein gläubiger Mensch. Komponieren, das ist für ihn wie Gebete schreiben. Bachs selbst formuliertes Ziel: engelsgleiche Musik komponieren. Dem Ziel kommt er im Laufe seines Lebens so nah wie vielleicht kein anderer deutscher Komponist.

Er gibt insbesondere den Worten Luthers eine Stimme. Luthers Übersetzung des Neuen Testaments war ein Impuls der Reformation, eine einzigartige Vermittlungsleistung. Ebendies sind auch Bachs Vertonungen der lutherschen Texte. 

Nun doch: mit Posaunen!

Durch Bachs 13 Kantaten bekamen Luthers Worte eine neue Sprache. Auch andere Komponisten wie der thüringische „Vater der Musik“, Heinrich Schütz, übersetzten die Texte des Reformators klangvoll.

Die Sprache der Musik – die hört man in Thüringen nicht nur flüsternd in den Kirchen oder volltönend an den Orgeln á la Bach. Die Musik kommt auch wohltuend virtuos am Klavier daher. Ein weiterer Gast dieser Region war Franz Liszt. Etwas ungewöhnlich für damalige Ohren, war Liszt seiner Zeit voraus. Seine „Zukunftsmusik“ ließ eine Neuinterpretation zu, komponierte die Welt der Musik im wahrsten Sinne um. Kenner wissen: die Musikwissenschaft spricht von der „Neudeutschen Schule“. Ein weiterer berühmter Vertreter war Richard Wagner –ebenfalls zu Gast in Thüringen. Der Bogen zu Luthers Wartburg schließt sich, war sie doch Wagners Inspiration für seinen Tannhäuser. Kein Zufall: Seine Oper ist nicht nur eine romantische Ode an die traditionelle Volksballade, sondern auch eine Neuerzählung der Tannhäuser-Sage.

Ohne Worte, aber mit Akzent

Von der Wartburg und Luther also zurück zu Bach. Wer die Musik auf die bloße Vermittlung einer Botschaft reduziert, liegt falsch. Dort, wo Worte enden, dort, wo die Religion an die Grenzen der Moderne stößt, gibt die Musik eine Antwort, lässt uns diese Worte neu hören und (in) die eigene Welt übersetzen.

Beeindruckend beweisen dies vor allem die Improvisationen und Neuinterpretationen, die jährlich während der Thüringer Bachwochen zu hören sind. Wie übersetzen sich Bachs Kantaten in die unterschiedlichen Muttersprachen dieser Welt? Wie intoniert man Luthers Worte heute? Wie übersetzt sich Bachs Musik in die Gebärdensprache? Braucht Bach Luthers Worte?

Thüringer Bachwochen

Im Interview

Christoph Drescher, Leiter der Thüringer Bachwochen, drückt sein Bachgefühl so aus: „Er wird mir nie zu viel. Für mich ist die Musik immer wieder faszinierend und überraschend.“ An die 60 Konzerte mit internationalen Künstlern stehen rund um Ostern jährlich auf dem Programm der Thüringer Bachwochen – viele an originalen Bachorten. Dabei wird aber nicht nur Bach gespielt. Das Festival zeigt Bach auch in seiner Relevanz heute, indem hier Cross-over-Projekte, Bach mit Tanz, Elektronik oder auch Jazz kombiniert zu hören sind. Wir haben Christoph Drescher für ein Interview getroffen.

Raum für Gespräche

Bach hat die besten Kompositionstechniken seiner Zeit genommen und sich zu einem Meister darin entwickelt. In dieser Symbiose hat er konsequent auf Polyphonie gesetzt. Moment, Polyphonie? Die Instrumente musizieren gleichberechtigt. Das ist der berühmte, schwer zu verstehende Kontrapunkt. Ihr versteht nicht ganz, was wir sagen? Dann lauscht Bachs Musik: Die einzelnen Stimmen locken einander, stoßen und wechseln sich ab. Gleichzeitig sind sie miteinander verwoben. Man könnte sagen, sie „sprechen“ miteinander. Ein fröhlicher Austausch unter Freunden, eine Kontroverse, ein gemeinsames Übersetzen.

Bach-Orte in Thüringen 

Bach in Thüringen

Von B wie Bach bis R wie Radfahren

Die Musik Johann Sebastian Bachs überrascht immer wieder, besonders in Thüringen. Dort kann man die Werke des Komponisten – und moderne Interpretationen – an Originalorten erleben. Eine Spurensuche, die vom jungen, eher aufsässig, eigensinnig und kapriziösen Bach als Genie in Arnstadt auch mal per Fahrrad nach Dornheim führen kann.

Titelbild: ©Gregor Lengler, Thüringer Tourismus GmbH


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