Wie aus Worten Weltgeschichte wurde

Von der Wartburg ins Lutherhaus Eisenach

Jeder kennt sie: Die legendäre Lutherstube auf der Wartburg, die sich seit fast 1.000 Jahren majestätisch oberhalb der Thüringer Stadt Eisenach erhebt und jährlich knapp eine halbe Million Besucher in ihren Bann zieht. Hier versteckte sich Martin Luther nach seiner Gefangennahme vor 500 Jahren, um unerkannt, als „Junker Jörg“, in nur elf Wochen die Übersetzung des Neuen Testaments der Bibel zu erschaffen. ​​​​​Wie nebenbei erfahre ich vom Lutherhaus Eisenach und der Ausstellung „Luther und die Bibel“. Das klingt nach dem perfekten Ort, um meinen Wissensdurst zu stillen und die Antworten auf meine Fragen zu bekommen.

Schon als Kind war ich erstmals hier und begeistert von der Atmosphäre dieses besonderen Ortes. Eine uralte, hölzerne Tür gibt den Blick in die kleine Schreibstube frei. Man schaut ehrfürchtig auf das Lutherbild an der Wand, sieht einen alten Schreibtisch mit tiefen Furchen und einen hölzernen Stuhl. Vor dem Stuhl liegt ein Walknochen als Tritt. Die bröckelige Wand hinter dem grünen Kamin erinnert daran, wie ungemütlich zugig und kühl es damals hier oben auf der Burg gewesen sein musste und dass Martin Luther hier den Teufel mit einem Tintenfass verjagt haben soll. Dieser schlichte und zugleich mystische Ort, der mich seitdem und immer wieder wie magisch anzieht, ist der authentische Ort, an dem Luther mit einem Federkiel und bei Kerzenschein das Neue Testament übersetzte – und damit Weltgeschichte schrieb. Eine Aura, die mein Interesse weckt und mich immer wieder neugierig macht, mehr darüber zu erfahren. Ich möchte gern mehr wissen über diesen geheimnisvollen Menschen Martin Luther, über die Kunst und Kultur der Reformation und über die Bedeutung von Luthers Bibelübersetzung.

Multimediale Eindrücke: Luther und die Bibel

​​​​​Wie nebenbei erfahre ich vom Lutherhaus Eisenach und der Ausstellung „Luther und die Bibel“. Das klingt nach dem perfekten Ort, um meinen Wissensdurst zu stillen und die Antworten auf meine Fragen zu bekommen. Genügend Zeit habe ich heute und so entscheide ich mich für den Fußweg von der Wartburg bergab ins Stadtzentrum. Eine halbe Stunde braucht man etwa für den Weg, den Luther seinerzeit sicherlich auch schon genommen hat...

Das Lutherhaus ist eines der wohl schönsten und ältesten Fachwerkhäuser und liegt in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes und der Georgenkirche. Martin Luther wohnte in seiner Jugendzeit in diesem Haus, bei der Familie Cotta. Heute ist es ein Museum. Die kleinen „Lutherstuben“ dort gehen sogar zurück auf das Jahr 1356. Auch der Lutherweg führt hier direkt vorbei. Das Wegezeichen mit dem grünen L auf weißem Grund hatte ich auch bereits oben auf der Wartburg gesehen.
Ich bin überrascht von den hellen Räumlichkeiten, den freundlichen Menschen und dem großen, ansprechenden Museumsshop, der mich beim Eintreten umgibt. Es „luthert“ überall: Ich sehe viele kleine Playmobil-Luther, schöne Postkarten und Kühlschrankmagnete, große und kleine Bücher. Sogar bunte Luthersocken mit der Aufschrift „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders“ liegen in den Regalen. Das Fachwerkhaus wurde 2014/2015 grundlegend saniert; hat einen modernen Anbau mit Museumsshop bekommen und im historischen Gebäude eine brandneue, multimediale Ausstellung. Mit der Renovierung und Sanierung konnte auch weitgehende Barrierefreiheit realisiert werden.  
Beim Rundgang durch die Dauerausstellung merkt man sofort: Das ist nicht irgendein „verstaubtes Museum in der Provinz“. Das Haus ist eine moderne Schatzkammer mit hochkarätigen Exponaten, die man ganz selbstführend, individuell entdecken kann. Zu den Schätzen der Sammlung gehören beeindruckende mittelalterliche Kunstwerke, zwei Porträts von Martin Luther von Lucas Cranach und seiner Werkstatt oder der Taufbucheintrag von Johann Sebastian Bach. Aber am spannendsten für mich sind die vielen multimedialen Erlebnisse und die zeitgenössischen Vergleiche. Mich beeindruckt der große Zeitstrahl im Treppenhaus, der Ablass-Automat, die Verbreitung der Bibel durch den (damals neuen, teuren) Buchdruck oder die kleine Hörstation mit Karte zur Entwicklung der deutschen Sprache.

Ich tauche ein in die Welt der Reformation und nehme jetzt schon gedanklich mit: Luther war nicht nur bekannt als derjenige, der die deutsche Schriftsprache vorantrieb; eigentlich ist er sogar derjenige, der sie überhaupt erst schuf. Beim Übersetzen des neuen Testaments entstanden sprachgewaltige Ausdrücke wie „im Dunkeln tappen“, „Ebenbild“ oder auch „Feuertaufe“. Und seine Bibel war nicht die erste, wie so viele glauben, jedoch mit Abstand die beste. Für mich wird hier im Lutherhaus zum ersten Mal deutlich, welche Auswirkungen dieses Übersetzungswerk Bibel auf alle Lebensbereiche der Menschen dieser Zeit hatte. Und ich stelle dabei fest: Es sind eigentlich nicht nur die Worte Luthers allein, die diese Macht ausstrahlen. Es ist der Dreiklang von Wort, Bild und Musik: Der knapp 200 Jahre später in Eisenach geborene Komponist Johann Sebastian Bach wuchs beispielsweise bereits mit Luthers Erbe auf. Bei Ihm zu Hause standen vor allem Luthers Schriften im Bücherregal. Kein Wunder also, dass er die meisten Lutherlieder vertont und zu zahlreichen Choralkantaten inspiriert wurde.

Dauerausstellung im Lutherhaus Eisenach

Dauerausstellung im Lutherhaus Eisenach ©Tobias Wille, Stiftung Lutherhaus Eisenach

Schattenseiten der Kirchengeschichte: Glaube und Rassenideologie

Als Institution der evangelischen Kirche widmet sich das Lutherhaus in seinem neuesten Ausstellungsteil auch dem Thema des Antisemitismus. Das „Entjudungsinstitut“, welches vor 80 Jahren auf der Wartburg gegründet wurde, sollte Kirche und Glauben an die nationalsozialistische Rassenideologie anpassen. Luthers judenfeindliche Äußerungen wurden dafür in Anspruch genommen. Beeindruckende Medienstationen und zahlreiche Exponate ermöglichen eine fundierte und kritische Auseinandersetzung mit diesem Thema. So wird unter anderem multimedial die „Revision“ der Lutherbibel inszeniert: Ein Ausschnitt des sogenannten "entjudeten" Neuen Testaments zeigt eindrucksvoll den ideologisch motivierten Eingriff in Luthers Bibeltext.

Sonderausstellung im Lutherhaus Eisenach

Sonderausstellung im Lutherhaus Eisenach ©Sascha Willms, Stiftung Lutherhaus Eisenach

Eine Pause mit Ai Weiwei: man in a cube

​​​Überwältigt von den vielen Erkenntnissen und der großen Bandbreite der Ausstellung, endet mein Rundgang im historischen Innenhof des Lutherhauses. Eine Jugendgruppe arbeitet in der kleinen Luther-Werkstatt nebenan und wird versiert angeleitet von der Museumspädagogin des Hauses. Sie beschäftigen sich mit der deutschen Schrift und üben sich in Kalligrafie. Ich setze mich auf die kleine Bank im Hof, strecke die Beine aus und genieße die frische Luft. Hier, direkt vor mir, in schlichter Schönheit und unter freiem Himmel, steht das neueste Exponat des Hauses. Der chinesische Künstler Ai Wei Wei schuf anlässlich des Reformationsjubiläums 2017 einen Betonkubus, welcher, geteilt in zwei Blöcke, eine einsame Gestalt enthüllt. Den Abdruck des Künstlers selbst. Es ist ein Symbol für Freiheit und Gefangenschaft zugleich, das mich sofort an die Isolation Luthers auf der Wartburg und die „Freiheit des Wortes“ erinnert…

man in a cube von Ai Weiwei

man in a cube von Ai Weiwei ©Anna-Lena Thamm, Stiftung Lutherhaus Eisenach

Die Reformation war eine Zeit des Umbruchs, die nicht nur Deutschland, sondern die ganze Welt maßgeblich veränderte. Ich bin immer noch gefesselt von den Eindrücken des Tages, den Bildern aus einer längst vergangenen Zeitepoche, die geprägt war von vielen starken Persönlichkeiten und Ereignissen. Facetten, die ich nun auch viel besser begreifen kann. Nach einem Blick auf die Uhr beschließe ich, noch kurz durch den Museumsshop am Eingang zu schlendern und den kleinen Playmobil-Luther, den ich bei meiner Ankunft bereits erspäht hatte, als Erinnerung an den heutigen Tag zu kaufen. Und ich beschließe, möglichst bald wiederzukommen. Spätestens 2022 möchte ich definitiv wieder hier sein. Denn dann feiert man in Thüringen ein Jubiläum: 500 Jahre Bibelübersetzung auf der Wartburg. Und ich weiß jetzt schon: Bei meinem nächsten Besuch in Eisenach möchte ich auf jeden Fall auch ins​​​​​​ Bachhaus gehen. Dort kann man erleben, wie großartig Luthertexte klingen können… 

 

Titelbild: ©Anna-Lena Thamm, Lutherhausstiftung Eisenach

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