Vater der Porzellankiste

Leuchtenburg

Wie haucht man einer 800 Jahre alten Burg bloß neues Leben ein? Sven-Erik Hitzer hatte da eine Idee: Sie bestand aus neuer Architektur, feinster Keramik, Mitmach-Programmen und Tellern zum fröhlichen Zerscheppern.

Am Ende klirrt es unter einem, das ist ja immer so, wenn Porzellan am Boden zerschellt. Eigentlich steht man in so einem Moment allerdings in der Küche oder im Esszimmer und nicht über einem Abgrund. Man lässt einen Porzellanteller normalerweise auch nicht mit Absicht fallen und freut sich dann über sein letztes Geräusch, aber normal ist hier sowieso nichts. Im Gegenteil: Auf der Leuchtenburg legt man großen Wert darauf, die Dinge anders zu machen. Während sich Burgen überall in Deutschland seit Jahrzehnten bemühen, Besucher mit düsteren Waffenkammern und Sälen voller Herrscherporträts zu unterhalten, setzt man auf der Leuchtenburg auf ein eher zerbrechliches Thema: Alles hier dreht sich um Porzellan. Was sich erst einmal nicht wirklich aufregend anhört. Was sich aber dann ganz schnell ändert.


Die Leuchtenburg: Hoch oben auf einem Hügel über der Saale, erbaut vor 800 Jahren. Damals mächtiger Amts- und Verwaltungssitz, dann Zuchthaus, Irrenhaus und Armenhaus. Noch viel später die erste Jugendherberge Thüringens, anschließend Museum und irgendwann um die Jahrtausendwende dann nur ein langsam vor sich hin bröselndes Gemäuer, von dem niemand so richtig wusste, wie man es vor dem Zerfall bewahren konnte. Bis Sven-Erik Hitzer auf die Idee mit dem Porzellan kam.

Der ehemalige Spielzeugmacher, Landschaftsgärtner und Veranstalter eines Mittelaltermarkts hatte zuvor die Stiftung Leuchtenburg gegründet und nach einem Thema gesucht, mit dem sich die Burg von anderen unterscheiden würde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Herstellung von Porzellan der wichtigste Wirtschaftszweig Thüringens; Kahla am Fuße der Feste war besonders berühmt für sein Geschirr. Hitzers Idee, das feine und zerbrechliche Material thematisch mit der trutzigen Festung zu kombinieren, klang anfangs für viele ein bisschen weit hergeholt. Mittlerweile lassen sich 85.000 Besucher im Jahr verzaubern.

Was natürlich vor allem an der Art und Weise liegt, wie man auf der Leuchtenburg mit dem Thema umgeht. Denn hier ist nichts so, wie man es erwartet. Endlose Vitrinen mit immer neuen Tellern, Schüsseln, Tassen? Gibt es nicht. Altkluge Lehrfilme oder lexikonartige Erklärungen: auch nicht. Stattdessen steht man vor Schaukästen mit Krebsen, die statt eines Schwanzes einen Porzellanhenkel haben – als man noch nicht wusste, wie die Chinesen an den wunderbaren Werkstoff kamen, hielt man es für durchaus möglich, dass dort im fernen Asien Tiere das Porzellan produzierten. Auch das Einhorn stand eine Zeitlang im Verdacht: Sein Horn, mutmaßte man, müsse bei Vollmond gemahlen werden – dann könne man die feine Keramik daraus herstellen.

Dass Porzellan aus der richtigen Mischung von Kaolin, Feldspat und Quarz entsteht, die man bei 1.100 Grad brennt: Das fand man in Europa erst um 1700 heraus. Bis dahin beschäftigten Fürsten und Könige Alchimisten, die dem Geheimnis des Weißen Goldes auf die Spur kommen sollten. Auf der Leuchtenburg können Besucher mithilfe großer Waagschalen selbst versuchen, das korrekte Mischungsverhältnis hinzubekommen. Und auch erste Stücke brennen, wenn auch bloß virtuell. Wem das nicht gelingt, wird ein paar Schritte im „Raum des Scheiterns“ von dreibeinigen Pferdefiguren und Vasen ohne Henkel getröstet. Nach Räumen mit der kleinsten Vase der Welt und einer acht Meter hohen Porzellanskulptur steht man dann plötzlich vor dem Steg der Wünsche: Hier kann man seinen Herzenswunsch mit Geheimtinte auf einen Porzellanteller schreiben und ihn am Ende eines gläsernen Skywalks in die Tiefe fallen lassen. Bis er klirrend zerschellt.

Titelbild: ©Nicky Hellfritzsch, Stiftung Leuchtenburg

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