Das Schauspiel des Deutschen Nationaltheaters und der Staatskapelle Weimar
Zwischen klassischem Erbe und Gegenwartsdramatik
Anderthalb Stunden sind es noch bis zum Vorstellungsbeginn, ”Wilhelm Tell” steht heute Abend auf dem Spielplan. Während sich die Musiker einspielen und die DarstellerInnen in der Maske sitzen, werden die letzten Scheinwerfer eingerichtet. Düster erhebt sich der Rütli auf der Bühne, auf dem Requisitentisch liegt der präparierte Apfel für den berühmten Schuss, der dem Schweizer Nationalmythos dank Friedrich Schiller seit mehr als zwei Jahrhunderten eine große Portion Dramatik beschert.
Die Schauspielinszenierungen der Klassiker am DNT, dem Deutschen Nationaltheater und der Staatskapelle Weimar, sind alles andere als angestaubt. RegisseurInnen und Spielensemble verleihen den überlieferten Stoffen immer wieder eine neue Dimension, eine besondere Tiefe und aktuelle Schärfe. Im Fokus dabei stets die Geschichte, die erkennbar bleiben soll, die man nicht erst hinter der hundertsten Lesart suchen muss. Auffallend gemischt ist deshalb das Publikum, TouristInnen neben Schulklassen, AbonnentInnen neben denen, die lange nicht im Theater waren.
Mit seinen inhaltlichen Schwerpunkten überrascht das Schauspiel des DNT jede Spielzeit aufs Neue. Nicht selten sind die Produktionen spartenübergreifend, zu erleben an außergewöhnlichen Spielorten mit ganz besonderer Atmosphäre wie dem e-werk Weimar, einem alten Elektrizitätswerk. Bewusst ist der Spielplan so ausgerichtet, dass für jeden etwas dabei ist. Ob zeitlose Klassiker, Dramatik der Gegenwart oder spannende interaktive Formate - allein in dieser Spielzeit bringt das Deutsche Nationaltheater Weimar unter der Leitung von Hasko Weber 30 Premieren auf die Bühne, Musik- und Tanztheater eingeschlossen.
Seit 2019 ist ”Wilhelm Tell” fester Bestandteil des Spielplans, zumindest in dieser Form. In mehr als zwei Jahrhunderten hat das Haus schon so einige Tell-Inszenierungen gesehen. Weshalb Stücke wie dieses ihren angestammten Platz im Programm haben, bedarf in Weimar keiner Begründung. Schließlich hat Schiller seinen Tell nur einen Steinwurf entfernt zu Papier gebracht, uraufgeführt wurde er dann 1804 unter der Regie seines Dichterfreundes Goethe, Intendant des damaligen Weimarer Hoftheaters. Einen ”Faust” oder eine ”Maria Stuart” genau hier zu erleben, am Ort ihrer Entstehung, ist für viele BesucherInnen ein absolutes Highlight.