Gotische Bühne für mittelalterliche Prominenz

Museum St. Marien und Müntzergedenkstätte

In der historischen Mühlhäuser Marienkirche, heute Museum und Müntzergedenkstätte, predigte in der frühen Neuzeit der radikale Reformator Thomas Müntzer, einer der bekanntesten Akteure im Deutschen Bauernkrieg 1525. Außerdem fand in dem Bauwerk regelmäßig die Vereidigung der Ratsherren statt – mit dem stummen Einverständnis von Kaiser Karl IV. Winkt ihm beim Vorbeigehen zu! Johann Sebastian Bach komponierte für die Marienkirche die berühmte Ratswechselkantate – das einzige seiner Werke, das zu seinen Lebzeiten gedruckt veröffentlicht wurde.

Eingebettet zwischen denkmalgeschützten Häusern liegt in Mühlhausens Altstadt die imposante Marienkirche. Sie ist die zweitgrößte Kirche Thüringens und die größte fünfschiffige im Bundesland. Heute wird das entsakralisierte Gotteshaus als Museum St. Marien für Ausstellungen und als Müntzergedenkstätte genutzt. Die Errichtung des gotischen Meisterwerks begann im 14. Jahrhundert. Verwendet wurde Travertin, der helle Kalkstein der Region, zum Teil in Mühlhausen selbst abgetragen. Unverkennbar sind die Einflüsse der französischen Kathedralbaukunst – trotz der Überreste der romanischen Vorgängerkirche, die bei einem der Türme im unteren Bereich noch zu erblicken sind. 

Ein Geburtstagsgeschenk für alle

Im Inneren des Museums St. Marien faszinieren die Buntglasfenster. Manche datieren auf das 14. Jahrhundert, andere sind das Ergebnis einer Sammelaktion im Jahr 1887 anlässlich des 90. Geburtstags des Preußenkönigs und ersten deutschen Kaisers Wilhelm I. Ein kostbarer Marienaltar beeindruckt seit dem 17. Jahrhundert die Besucherinnen und Besucher des Gebäudes.

Prominente Schirmherrschaft für Exponate der aktuellen Sonderausstellung

Das Museum St. Marien im Hauptteil der vormaligen Kirche eignet sich gut zur Erkundung auf eigene Faust. Aktuell ist eine Sonderausstellung mit über 60 Objekten spätmittelalterlicher Kunst aus Thüringen, Sachsen und Franken zu sehen – allesamt Leihgaben der Klassik Stiftung Weimar. Sie umfasst außergewöhnliche Altäre, Skulpturen, bunte Glasfenster mit Motiven von Christus, Maria und weiteren christlichen Heiligen. Typisch für diese Epoche: An vielen Stellen tauchen Einhörner und Drachen im Bildgefüge auf. Habt ihr bei euren Betrachtungen ein besonderes Gefühl? Vielleicht liegt das daran, dass der Dichter und Politiker Johann Wolfgang von Goethe den materiellen wie ideellen Wert dieser Kunstwerke erkannte und Mitbegründer der Sammlung war. Begeisterung lösen bestimmt die Schaukästen mit „Farbstoffen des Mittelalters“ aus – in transparenten Döschen könnt ihr Bestandteile entdecken und Erstaunliches über sie lernen.

Kleines Farblexikon
Für Ultramarin wurde beim Malen kostbarer gemahlener Lapislazuli verwendet – Blau stand für den Himmel, Gott, Keuschheit und Treue. Bei der Produktion von Zinnoberrot kam giftiges Quecksilbersulfid zum Einsatz – die Farbe wurde nicht nur verwendet, um Blut darzustellen, sondern symbolisierte auch die Auferstehung und den Heiligen Geist. Purpurrot, das dem Kaiser als Farbe für sein Gewand vorbehalten war, kam in der Herstellung am teuersten. Kleinste Mengen mussten mühevoll aus dem Drüsensekret Tausender Purpurschnecken gewonnen werden. Reines Weiß entstand, indem Blei in Säure aufgelöst wurde. Die Menschen wussten von der Toxizität, dennoch mischten sie es in ihre Schminke zur Aufhellung der Haut.

Aus dem Leben Thomas Müntzers 

Die Aura des Theologen Thomas Müntzer, der gegenüber der Marienkirche auch wohnte, ist noch immer im Gebäude spürbar – hier schmetterte er im 16. Jahrhundert seine kraftvollen Predigten für mehr „freiheyt“ von der Kanzel hinab. Manche wurden zu Schlüsselreden, die 1525 zur Bauernkriegsschlacht in Bad Frankenhausen führten. Seine abwechslungsreiche Vita wird auf den alten Steinboden projiziert. In einer Nische zeigen die expressiven Skulpturen des Bildhauers und Malers Klaus-Michael Stephan den radikalen Reformator blutüberströmt, leidend, sich windend … Sie zählen zu den herausragenden Kunstwerken der Mühlhäuser Museen – zum einen sind sie kunsthistorisch bedeutend, zum anderen kultur- und institutionsgeschichtlich bestechend.

Könnt ihr mich sehen?

Tatsächlich erhalten ist kein originaler Gegenstand von Thomas Müntzer. In der ehemaligen Sakristei wird jedoch Verschiedenes mit seinem Abbild ausgestellt wie Medaillen, Bierkrüge und Geldscheine – zumindest mit der Vorstellung wie er aussah, denn ein Portrait von ihm existiert nicht. In der DDR wurde er sehr verehrt, dass sich dort damals die Künstlerszene gestalterisch mit ihm auseinandersetzte, wird ebenfalls gezeigt. Beim Betreten des Raumes fällt außerdem sofort die Regenbogenfahne auf. Mit einer ähnlichen Version führte Thomas Müntzer am 15. Mai 1525 Hunderte Aufständische nach Bad Frankenhausen in eine Schlacht – einen plötzlich am Himmel aufsteigenden Regenbogen dort sah er als Legitimation für die bewaffnete Auflehnung. Aber sie erfuhren eine Niederlage – nur etwa ein Viertel von ihnen überlebte. In der Folge wurde der radikale Reformator hingerichtet. Der Aufstand gilt bei Historikern als eines der traumatischsten Ereignisse der frühen Neuzeit.

Turmleben

Lasst euch noch in einen ganz anderen spannenden Teil des Museums St. Marien mitnehmen … Was von dem imposanten Kirchengebäude zu sehen ist, wurde Anfang des 15. Jahrhunderts vollendet – bis auf den Westturm. Erst 1895 begann die Pfarrei damit, den nie ganz fertiggestellten Turm abschließend auszubauen – mit knapp 87 Metern zum höchsten Kirchturm Thüringens. Eine Führung ist sehr zu empfehlen! Mit einer Ausstellung über den Turmbau beginnt die Besichtigung. Interessant: Jeder Baustein wurde mit dem individuellen runenartigen Zeichen des jeweiligen Steinmetzmeisters graviert, das erleichterte unter anderem die Lohnabrechnung. Einige dieser Symbole sind grafisch dargestellt. Auf das Leben von Türmern in Mühlhausen wird mit amüsanten Anekdoten eingegangen. Darüber hinaus ist ein Display aufgestellt – seht live, was gerade im Brutkasten der Falken vor sich geht. Mit Glück können flaumige Küken beobachtet werden.

Spannender Aufstieg durch Jahrhunderte bis zum Himmelsloch

Schön still ist es oben im Dachboden über dem Mittelschiff. In der Neuzeit wurde dieser Bereich mit Holzstegen ausgestattet, denn der Boden birgt manche Überraschung: Himmelslöcher sind darin eingelassen und nur mit einem Holzdeckel verschlossen. Der wurde früher zu Feiertagen entfernt, um Figuren in die Kirche hinabzulassen oder heraufzuziehen, beispielsweise an Christi Himmelfahrt. Ein Stockwerk tiefer befindet sich ein begehbarer Balkon. Der weite Blick von hier aus über die mit einer mittelalterlichen Stadtmauer umgebene Altstadt ist ergreifend. Das Uhrwerk im Turm lässt euch bestimmt ebenso staunen wie die älteste der drei Glocken – sie tut seit mehr als 530 Jahren ihren Dienst und wiegt etwa 5,5 Tonnen. „Aus Bronze gegossen“, wird kurz vom Guide erklärt, „denn dieses Material klingt am besten.“

Beschützende Maria, dämonische Wasserspeier und ein versteinerter Kaiser

Die Außenfassade erzählt den Besuchern Mühlhausens eine eigene Geschichte, die eng mit der Historie als Reichsstadt verwoben ist. Für die Vereidigung des jährlich wechselnden Rats hätte der Regent vor Ort sein müssen. Da ihm dies nicht möglich war, wurde dafür gesorgt, dass Kaiser Karl IV., der von 1355 bis 1378 regierte und politisch sehr stark eingebunden war, auf dem Balkon über der Südpforte als Skulptur platziert wurde – nebst Gemahlin und Höflingen. Sie neigen sich zu den Menschen hin, die das Portal durchschreiten – das soll als Geste der Zustimmung verstanden werden. Weitere biblische Figuren, darunter Maria, die Schutzpatronin dieser Kirche, zieren den früheren Haupteingang. Im Bauernkriegsjahr 1525 zerstörte eine aufgebrachte Menge die Steingestalten direkt am Portal in blinder Wut. Erst sehr viel später wurden sie neu aufgebaut. Faszinierend und ein wenig furchteinflößend wirken die Wasserspeier, ausgestaltet als Dämonen und Tiere in den oberen Außenbereichen der Marienkirche. Sie verkörperten symbolisch beispielsweise den Einfluss des Teufels auf die irdische Welt oder sollten mit ihrem furchtbaren Aussehen böse Geister und andere dunkle Mächte fernhalten. Vordergründig aber hatten sie eine praktische Funktion: Das Regenwasser konnte durch sie problemlos ablaufen.

Johann Sebastian Bachs Ratswechselkantate 

Der weltbekannte Komponist und Musiker kam in seinen jungen Jahren als Organist für ein Jahr nach Mühlhausen. 1708 schuf er dort 23-jährig für den Anlass des Ratswechsels die entsprechend benannte Kantate. „Gott ist mein König“ war die einzige seiner Kompositionen, die zu seinen Lebzeiten in gedruckter Form publiziert wurde. Wenn euch diese ergreifende Musik nicht (mehr) in Erinnerung ist – außerhalb des Südportals ist sie an einer Audio-Station zu hören. 

 

„freiheyt 1525. 500 Jahre Bauerkrieg“
Thüringer Landesausstellung 2025

In der Landesausstellung werden die aufeinander aufbauenden Phasen des Bauernkriegs aus überregionaler Perspektive gezeigt. Ein Teil soll 2025 im Museum St. Marien präsentiert werden. Die ehemalige Marienkirche ist eine der vier prägnanten Stationen zu dieser Thematik in der mittelalterlichen Reichsstadt Mühlhausen. Hier predigte der radikale Reformator Thomas Müntzer. In diesem Gebäude geht der thematische Rundgang daher auch los: Lasst euch im Museum St. Marien | Müntzergedenkstätte auf die Geschichte der Bauern in der frühen Neuzeit ein und erfahrt, wie die Zyklen des bäuerlichen Jahres mit den Aufständen für ihre „freiheyt“ zusammenhingen.

 

Titelbild: ©Florian Trykowski, Thüringer Tourismus GmbH
Grafik im Website-Block: Sebastian Köpcke, Mühlhäuser Museen
 

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