Ein fantastisch listiges Monumentalgemälde

Thüringer Weltkunst in Bad Frankenhausen

Der kunst- und kulturinteressierte Thüringen-Urlauber kommt kaum daran vorbei – im direkten wie im übertragenen Sinne: Mitten im Kyffhäuser-Naturpark-Gebiet thront auf einem einsamen, wenngleich historisch bedeutsamen Berg weithin sichtbar das auffällige Bauwerk des Panorama Museums. Auf einer über 1.700 Quadratmeter messenden Leinwand verewigte die Künstlerpersönlichkeit Werner Tübke dort ihre ganz eigene Interpretation der „Frühbürgerlichen Revolution in Deutschland“ – mit über 3.000 Figuren in rund 75 leuchtend farbigen Schlüsselszenen.

Die Adresse des Panorama Museums in Bad Frankenhausen – „Am Schlachtberg 9“ – lässt zwar einen geschichtlichen Hintergrund vermuten, aber nicht im Geringsten, dass hier ein einzigartiges Kunsterlebnis geschaffen wurde, das heute als die „Sixtina des Nordens“ gilt – mitten auf dem Land, außerhalb des beschaulichen Sole-Kurortes Bad Frankenhausen. Beim Betreten der fensterlosen Rundhalle verschlägt es einem zunächst buchstäblich den Atem, so eindrucksvoll sind Dimension und Darstellung der Tausenden von Figuren und real anmutenden Landschaften. Im 360-Grad-Blickfeld liegen sage und schreibe 123 Bildmeter, in der Höhe sind es 14 Meter. Über eine Tonne wiegt der tatsächlich in einem Stück produzierte Leinwandstoff.

Ein Denkmal der Superlative in Bad Frankenhausen

Zu Ehren einer der tragischsten Figuren der mittelalterlichen Geschichte, des Theologen und radikalen Reformators Thomas Müntzer, sowie als Erinnerung an eine der letzten Bauernkriegsschlachten im 16. Jahrhundert wurde eine gigantische Gedenkstätte errichtet – auf dem Schauplatz der Geschehnisse und mit einem monumentalen Panoramagemälde als Mittelpunkt. 1976 erhielt der Grafiker, Maler und Kunstpädagoge Werner Tübke vom Kulturministerium der DDR den Auftrag dafür. Fachlich gesehen galt er wohl als der Einzige, der in der Lage war, dieses schier unmöglich erscheinende Projekt umzusetzen. 

Komplexbild als Basis für Tübkes gedankliches Versteckspiel

Die vorgegebene Thematik rein als bildlich historische Erzählung auf die Leinwand zu bringen war gemessen am hohen kreativen individuellen Anspruch Werner Tübkes viel zu einfach. Gleich zu Beginn legte er fest, dass er nur zusagen würde, wenn er ein komplexes Epochenbild entwickeln dürfe, das aber keiner linearen historischen Entwicklung folge. Er stellte insgesamt 13 Forderungen, die er erstaunlicherweise alle bewilligt bekam. 

„Als Komplexbild, eine Kunstform, die in der DDR in den 1960er Jahren entstand, werden Gemälde bezeichnet, die Themen des Landes aller Art auf eine recht komplexe, widersprüchliche, ja dialektische Weise zur Anschauung bringen. Dabei fließen allumfassende affirmative wie kritische Aspekte ein.“ (Eine Ausführung des Museumsdirektors Gerd Lindner)

 

Drei Jahre recherchierte Werner Tübke. Als Basis für seine vor Details strotzenden Szenerien dienten ihm überwiegend bekannte literarische Klassiker, die sich jeweils auf ihre Art und Weise mit dem „Kampf für Freiheit“ beschäftigen. Dabei orientierte sich Werner Tübke an historisch belegbaren Begebenheiten und Bibeltextstellen, bezog aber auch Mythen, Geschichten und sogar sein eigenes Leben ein. Den dahinterstehenden Kontext malte er in die Gestalten und die typischen Szenen des 16. Jahrhunderts hinein. „Er zitierte sie“, sagt der Kunstverständige – und versah sie mit nicht zählbaren Details, die die Aussagekraft des Dargestellten noch verstärken, wie der gewollt überdimensionale Fuchsschwanz etwa, der im Mittelalter als Symbol für Unterwürfigkeit galt. Werner Tübke arrangierte jede Szene so, wie sie in seinem Kopf Sinn machte – Stück für Stück kann sich der staunende Betrachter geistig vorarbeiten. 

Lebendig wie eine Theateraufführung

Das Kunstwerk könnte als Bühnenbild des revolutionär behafteten Freiheitsgedankens der Menschheit betrachtet werden. Des immerwährenden, in Werner Tübkes Kunstkosmos apokalyptisch anmutenden Kampfes um die Erfüllung oft einfachster, aber grundlegender Bedürfnisse. In dieser mannigfaltigen Bildwelt wird dem Publikum suggeriert, Bestandteil des Werkes zu sein. Zum Greifen nahe spielen sich die Geschichten vor einem ab. Durch die Kombination aus malerisch und bautechnisch besonders raffinierter Umsetzung – zum Teil mit Methoden, die aus der Kunstepoche des 16. Jahrhunderts bekannt sind – wirkt das Monumentalgemälde außerordentlich lebendig. Und es entsteht ein mehrdimensionaler Eindruck: Ein Felsvorsprung lässt sich als solcher wahrnehmen. Allein über das Mischen und Auftragen der Farben, die über eine unfassbare Leuchtkraft verfügen, ließe sich ein ausführlicher Fachartikel verfassen. Sie verleihen sogar den Jahreszeiten Realismus. Schnee wird so spürbar, dass es einen beim Anblick fröstelt. Die Gestaltung des Hallenbodens, die Beleuchtung wie in einer Kirche und weitere innenarchitektonische Kniffe verstärken die immens starke Wirkung.

Zeitzeuge und Tübke-Experte

Gerd Lindner befasste sich bereits im Studium mit der Künstlerfigur Werner Tübke. Seit Ende der 1980er Jahre war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum tätig, nicht viel später, nach der Wende, wurde er zum Direktor berufen. Er traf Werner Tübke viele Male. Von Gerd Lindner stammt die Formulierung, dass der Künstler dem damaligen Regime „fantastisch listig“ ein Werk unterschob – wer sich mit DDR-Kunst auskennt, weiß, dass seine Darstellung der „Frühbürgerlichen Revolution in Deutschland“ ganz bestimmt nicht den eigentlichen Umsetzungsvorstellungen des damaligen Kulturministeriums entsprach. Der Maler ging aber davon aus, dass sein Werk ohnehin nicht verstanden werden würde. 

Als Vorlage zu seinem Bild entwarf er ein Gemälde im Maßstab eins zu zehn. Im Bereich „Tübke-Kabinett“ wird der gesamte Schöpfungsprozess des Panoramagemäldes anschaulich präsentiert. Der 20-minütige Dokumentarfilm „Schlacht am Bild“ zeigt deutlich die ungeheuren Herausforderungen physischer und psychischer Natur für Werner Tübke und alle damals Beteiligten.

Buchtipp
Gerd Lindner, Direktor des Panorama Museums in Bad Frankenhausen, beschreibt in seinem Bildband „Vision und Wirklichkeit“ einzelne Szenen – die Ergebnisse seiner eigenen jahrelangen Studien am Werk –, gibt Daten zur Entstehung sowie Fakten zum Künstler an. 56 Seiten Motivausschnitte sind beigefügt.

Denkt, was ihr wollt – die „freiheyt“ unserer Zeit

Museumsdirektor Gerd Lindner ermutigt dazu, selbst zu entdecken und zu interpretieren. „Denn es ist viel und es ist sehr komplex!“, fasst er prägnant zusammen. Der Schaffer selbst, Werner Tübke, ließ den größten Spielraum – er äußerte sich nie zu dem Dargestellten. Das hatte noch einen anderen Vorteil: „Zur Wendezeit offenbarte sich das Gemälde als ästhetisch wetterfest“, legt Gerd Lindner dar, „denn dadurch, dass die Originalquellen nur malerisch angeführt wurden und auch nicht den Auslegungen der Historiker der damaligen DDR-Gegenwart gefolgt wurde, vermied Werner Tübke den konkreten Hinweis auf eine bestimmte ideologische Ausrichtung.“

Den Kopf wieder frei kriegen 

Das Museums-Café mit verglaster Vorderfront und Terrasse im Sommer bietet regionale Spezialitäten – der Blick in die Landschaft ist herrlich. Rund um das Panorama Museum verlaufen etliche Routen für Wanderer wie der Kyffhäuserweg. Ein Spaziergang lässt sich also gut mit dem kulturellen Erleben verbinden. An der frischen Luft kann das Gesehene noch besser im Geiste sortiert werden – in stillem Gedenken an diejenigen, die an dieser Stelle den Kampf für ihre „freiheyt“ mit dem Leben bezahlten. 

 

 

„freiheyt 1525. 500 Jahre Bauernkrieg“
Thüringer Landesausstellung 2025

Dass das Panorama Museum als einer der Orte für die Landesausstellung im Jahr 2025 ausgewählt wurde, ist fast schon eine Selbstverständlichkeit. Drückt doch die Location in ihrer Gesamtheit aus, welche unterschiedlichen Mittel und Wege die Menschen sich zu eigen machen, um das sehr persönliche Verständnis von Freiheit durchzusetzen. Die Dynamik von Werner Tübkes Kunstwerk wirkt noch lebendiger durch Originale und Faksimile, die ihn inspirierten und anlässlich der Landesausstellung als internationale Leihgaben zusammengetragen wurden.

 

Titelbild: ©ZK Medien, Panoramamuseum Bad Frankenhausen
Grafik im Website-Block: Sebastian Köpcke, Mühlhäuser Museen 

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