Feuchtfröhliches Wandervergnügen

Schluchtentour

Enge Stellen, Wasser: Die Drachenschlucht südlich von Eisenach ist eines der aufregendsten Geodenkmäler Thüringens. Über Millionen Jahre hat sich Bachwasser in die Felsen unterhalb der Wartburg gegraben. Abgerundet wird das Wanderabenteuer in Kombination mit der nahen Landgrafenschlucht und einigen aussichtsreichen Passagen auf der Anhöhe.

Bevor Margit Stephan mit einer Gruppe aufbricht, will sie einiges wissen. Sollen es eher ein, zwei Stunden sein oder ein halber Tag? Läuft man lieber zuerst rauf oder runter? Kinderwagen dabei? Wie auch Räder sind die in der Drachenschlucht nämlich nicht erlaubt. Um die Bestimmung des Naturschutzgebiets zu verstehen, braucht es, steht man erstmal an der engsten Stelle der Klamm, nicht viel Fantasie. Apropos. Am gleichnamigen, auch mit Bussen gut erreichbaren „Wanderparkplatz Phantasie“ am Südrand von Eisenach beginnt die Schluchtentour. Tschüss, historische Villenkolonie und hallo, Natur! Wir folgen dem sich herrlich durch ein Auenwäldchen schlängelnden Bach bis zur Königskreuzung. Woher der Name kommt? Die Gäste- und Naturführerin vom Verein Eisenacher Gästeführer lenkt den Blick auf eine Anhöhe, auf der mit einem XL-Gedenkstein Gottlob König gehuldigt wird. „Er gilt“, erzählt die 57-Jährige, „als einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der Forstwirtschaft und -wissenschaft des 19. Jahrhunderts, der getreu seinem Motto ,Die Wälder sind der Länder höchste Zierde‘ vieles bewirkte.“ Unter anderem, einen Weg durch die lange als unpassierbar geltende Drachenschlucht öffentlich zugänglich zu machen. Doch dazu später.

Schließlich haben wir die größere Runde vor, also geht es vom Mariental aus nicht rechter-, sondern linkerhand zur nicht weniger interessanten Landgrafenschucht. Über die gibt es Folgendes zu berichten: „Friedrich der – von seiner Mutter! – Gebissene soll sich hier mit seinen Mannen versteckt haben, um die nahe Wartburg einzunehmen respektive sich sein ihm zustehendes Erbe zu holen.“ Während die auch als historische Stadtführerin aktive Stephan erzählt und erzählt, passieren wir Rot- und Hainbuchen, Ahorn, Linden. Einige sind umgefallen und dienen nun als Naturkunstwerk über dem gurgelnden Bach, an dessen Ufer ein hübscher Weg entlangführt, mit manch feuchter Stelle. Für Wassernachschub und immer wieder stark moosige Flächen sorgen einige den nun steiler werdenden Hang heruntereilende, Mini-Bäche. „Im Sommer ist es in den Schluchten herrlich angenehm“, weiß Stephan, „wobei jede Jahreszeit ihren Reiz hat.“ Diesen Reizen erliegen viele, von Solowanderern über Familien bis hin zu Gruppen. 

Die bekannteste Burg und der meistbegangene Wanderweg Deutschlands

Große Augen. Und gleich die Entwarnung: „Keine Sorge vor Überfüllung, das verteilt sich in der Regel gut.“ Schließlich locken in der Region hunderte Wanderkilometer, allen voran die auf dem legendären Rennsteig. Den erreichen wir nach einem längeren Anstieg. Wobei wir genau genommen erst noch ein Stück auf dem historischen Wagenweg unterwegs sind, einst „die Autobahn des Mittelalters“. Heute haben wir den Aussichtspunkt „Marienblick“ auf die Wartburg, dank Luthers Testamentsübersetzung und anderen Großereignissen bekannteste deutsche Burg, ganz für uns allein. Auch der Blick woandershin lohnt. Auf dem Waldboden lassen sich bläuliches Waid und weiße Buschwindröschen entdecken, Richtung Osten die Hörselberge, die bei Wagners Tannhäuser eine Rolle spielen. Stephans Tipp: Der Blick vom Großen Drachenstein aus ist noch erhabener, auf die Anhöhe sind es ja nur ein paar Minuten …

Dem Wagenweg südwärts folgend wandeln wir bald eindeutig auf dem Rennsteig. An der zu kreuzenden B19 finden sich entsprechende Schilder, auch Hinweise auf ein geplantes Viersterne-Wellnesshotel neben der „Hohen Sonne“. Woher der Name des lange als Kult-Gaststätte fungierenden ehemaligen Jagdschlosses kommt? Vom eisernen Sonnenemblem, zu dessen Füßen nun die mitgebrachten Stullen an einem der Brotzeittische verzehrt werden. Gute Gelegenheit, über Deutschlands meistbegangenen Fernwanderweg zu sprechen, der zu DDR-Zeiten hier begann. In den 1990ern kamen noch einige Kilometer aus dem einstigen Sperrgebiet hinzu. Traditioneller Startpunkt ist nun (wieder) Hörschel an der Werra.

Nahrückende Felsen, umgefallene Baumriesen

Doch wir biegen vorher ab, hangabwärts in die Drachenschlucht. Die Leute glaubten früher, dass hier ein Lindwurm hauste. Der Bohei um den Drachentöter Georg, immerhin Schutzheiliger der Stadt Eisenach, tat sein Übriges. Und marketingtechnisch zieht der Name sowieso, davon können bestimmt viele Eltern ein Lied singen – und damit ist nicht das allgegenwärtige Rennsteiglied gemeint.

Nun aber zu den Fakten: Die Klamm überwindet auf 2,6 Kilometern Länge einen Höhenunterschied von annähernd 200 Metern. Im mittleren Bereich, auf einer Länge von ebenfalls rund 200 Metern, rücken die Felswände bis auf 68 Zentimeter zusammen. Wehe, man hat zu viel Eisenacher Bier getrunken und Thüringer Klöße sowie Bratwürste gegessen! Spätestens jetzt leuchtet das Kinderwagenverbot wirklich jedem ein …

Was noch nicht einleuchtet: Warum gibt es in der Gegend gar so viele Schluchten? Die Antwort lesen wir auf einer Infotafel: „Vor rund 280 Millionen Jahren verfestigte sich in der Eisenacher Mulde der Verwitterungsschutt des Thüringer Gebirges und bildete das hier anstehende ,Rotliegende‘, ein widerstandsfähiges Konglomeratgestein. In den folgenden Jahrmillionen wurde durch Fließgewässer Geröll und Oberflächenmaterial erodiert und zu Tale getragen.“ Aha, so entstanden die tiefen Schluchten und steilen Felsabhänge der Region. So ein geologischer Schatz will geschützt werden, daher die Einstufung als Naturschutzgebiet, das erst 2015 auf fast 800 Hektar erweitert wurde. Good news auch für Flora und Fauna. So dürfen Baumgiganten selbst nach ihrem Fall liegen bleiben, was zur mystischen Naturanmutung beiträgt. Außerdem dienen sie Farnen und imposanten Pilzkonsolen als Standort sowie den vielen Spechtarten und Fledermäusen als Unterkunft. Und dann kommen wir doch nochmal auf den Lindwurm zu sprechen. „Es gibt hier sogar ein paar Drachennachkommen: Feuersalamander und der seltene Kammmolch“, meint Stephan schmunzelnd.

Alles im grünen Bereich

Nach Holzbohlen führt der Weg zunehmend über Kunststoffgitter aus recyceltem Glasfaserkunststoff – und zwar direkt über dem Bach. Aufregend. Da gurgelt es gehörig, was durch die bedenklich nah gerückten Felswände verstärkt wird. Dolby Surround! Angenehmer Nebeneffekt: Durch das Getöse ist die nahe Bundesstraße nicht zu hören, zu sehen sowieso nicht. Dafür Moose, Farne, Grünzeug in allen Schattierungen. Und überall tropft und rinnt es. Jetzt versteht man Stephans Satz von vorhin: „Bei der Schluchtentour bekommt man immer Dreck ab – und nasse Schuhe.“ Weniger von innen, aber von außen. Weiße Sneaker oder Absatzschuhe? Wahrlich keine gute Idee. Mit normalen Laufschuhen und etwas Kondition schafft man die insgesamt knapp zwölf Kilometer lange, drei- bis vierstündige Tour jedoch bestens.

Extratouren
Ein Insidertipp für alle, die noch weiterlaufen wollen, ist die Ludwigsklamm. Vom „Wanderparkplatz Phantasie“ lässt sie sich via Herzogseiche gut erreichen. Ganz so spektakulär wie die anderen beiden Schluchten ist das geologische Naturdenkmal zwar nicht, aber aufragende Felsen, ein größerer Wasserfall und die Ludwigsgrotte zaubern einem dennoch ein Lachen ins Gesicht.

 

Titelbild: ©Dominik Ketz, Regionalverbund Thüringer Wald e.V.

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