Dreimal gleich und immer anders

Drei Gleichen

In der Nähe von Erfurt befinden sich drei Burgen, die wie steinerne Wachposten auf ihren Hügeln unweit der A4 stehen. Die Drei Gleichen sind die Wahrzeichen der Region und Schauplätze faszinierender Geschichten. Die wichtigste handelt davon, wie die Burgen vor fast 1.000 Jahren zu ihrem merkwürdigen Namen kamen.

Es waren bedrohlich wirkende Wolken, die da am letzten Maienabend im Jahre des Herrn 1231 über dem Land aufgezogen waren. Die Bauern hatten das Vieh schon früh in die Ställe geholt; jetzt sahen die Menschen ängstlich zum Horizont, wo sich die drei Burgen vor dem Gewitterhimmel zu ducken schienen. Und dann rollte dumpfer Donner über die Ebene heran, und dann begann es zu regnen, und dann entlud sich der Zorn des Himmels. Gleich der erste Blitz, so erzählten sich die Leute später, sei wie ein Dreizack zur Erde gefahren und habe alle Festungen auf einen Schlag getroffen. Kurz darauf standen die Burgen lichterloh in Flammen – wie drei gleiche Fackeln brannten sie oben auf ihren Hügeln. Die Menschen bekreuzigten sich, weil sie glaubten, das Ende der Welt sei gekommen.

Fast tausend Jahre später ist die Welt noch da – und auch die Burgen stehen noch immer auf ihren Hügeln: Drei Leuchttürme, die niemand übersehen kann, der in der Region unterwegs ist. Das sind vor allem Wanderer; die Wanderung von Burg zu Burg ist eine beliebte Tagesstrecke, die Thüringens Natur mit Geschichte und Kultur verbindet. Weil man von jeder der drei Festungen die jeweils anderen beiden vor Augen hat, braucht es auf der 15 Kilometer langen Route zwischen den Drei Gleichen eigentlich keine Hinweisschilder: Der nächste Zwischenstopp thront gewissermaßen immer auf dem Hügel vor einem.


Start und Ziel ist Mühlberg am Fuße der Mühlburg, ein kleiner Ort, zwischen dessen historischen Häusern ein schmaler Bach gurgelt. Von hier geht es zunächst durch den Ort und hinüber zur Burg Gleichen, einst Wohnsitz eines mächtigen Grafengeschlechts. Ist das eine prächtige Ruine! Vom großen Herrenhaus stehen noch sämtliche Mauern, im weiten Burghof stehen alte Bäume, und auf den Stufen des Turms steht Ulf Krauße. Der ist der Burgwächter und jemand, dem man sofort anmerkt, mit wie viel Begeisterung für das alte Gemäuer er seinen Job macht. Seid Ihr schon im Museum gewesen? Habt Ihr die tausend Jahre alte Spielzeugfigur gesehen, die die Archäologen gefunden haben? Und hat sich das Gespenst gezeigt?


Ein Burggeist soll – natürlich! – auch auf der Veste Wachsenburg sein Unwesen treiben, die Zweite im Trio, zu der der Weg jetzt über eine lange Passage durch die Felder führt. Auch sie ist über tausend Jahre alt, wurde aber von ihren vielen Besitzern im Lauf der Zeit so oft erweitert und umgebaut, dass sie heute eher aussieht wie eine dieser Burgen, die man im Zeichenunterricht in der ersten Klasse gemalt hat und über die der Lehrer dann sagte, dass so keine richtige Burg aussehe. Sieht sie aber doch! Braune Mauern, rote Dächer, großer Turm in der Mitte, kleine Türme am Rand, ein Bollwerk, eine richtige Feste, eine Burg wie aus einem Bilderbuch der deutschen Mittelalter-Romantik eben. Schon seit den 1960er-Jahren gibt es hier ein Hotel und ein Ausflugslokal, und eine Geschichte gibt es natürlich auch: Irgendwo tief in den Gewölben der Burg soll der mit Edelsteinen besetzte Schädel eines Edelfräuleins versteckt sein! Der Raubritter Apel Vitzthum der Ältere zu Roßla (was für ein Name!) hatte die Schöne begehrt, sie aber wollte sich dem Lüstling nicht hingeben. Natürlich kam es, wie es kommen musste: Ritter Apel war stocksauer. Er ließ die edle Maid töten und ihren geschmückten Schädel später verstecken. Sie wiederum rächte sich, indem sie seine Burg fortan als Geist heimsuchte. Über solche Geschichten kann man dann wunderbar auf dem Rest der Strecke nachdenken. Praktischerweise führt der Wanderweg ab der Wachsenburg durch finst’ren Tann, da schwirren einem die alten Sagen noch ein wenig intensiver im Kopf herum.


Der Weg zur Ruine der Mühlburg, der ältesten Feste Thüringens (Baujahr ab ca. 531), führt entweder kurz und steil durch den Wald oder in langen Schlaufen hinauf auf den Burghügel, und wenn man oben ist, muss man sich zuerst einmal setzen. Weil man außer Atem ist. Weil sich das Panorama so unglaublich weit vor einem ausbreitet, inklusive säuberlich gestaffelter Schäfchenwolken, inklusive sommerblauen Himmels. Und weil man realisiert, wie hoch hinauf man in den vergangenen Minuten gestiegen ist. Die Lage einer Burg oben auf einem Berg war im Mittelalter ja ein überlebenswichtiges Kriterium: Je höher der Standort der Feste, desto früher konnte man anrückende Feinde in der Ferne ausmachen. Und je steiler und schroffer der Hügel unter der Burg war, desto mehr Probleme hatten diese Feinde. Wanderer brauchen hier denn auch etwas Kondition.


Und wenn man den Wirt beim abschließenden Abendessen in Mühlberg dann fragt, ob auch er eine von diesen alten Legenden kennt – dann kann der garantiert eine erzählen, die man auf dem Weg von Burg zu Burg noch nicht gehört hat.

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