Bauhaus-Mythos Glas
Jeder von uns geht täglich mit Glas um, sei es in der Gestalt eines Trinkglases, einer Getränkeflasche, eines Wandspiegels oder sogar einer Autoscheibe. Der vielseitige Werkstoff spielte auch am Staatlichen Bauhaus eine Rolle. Johannes Itten baute die Werkstatt für Glasmalerei 1920 auf. Ab 1922 war Paul Klee ihr Formmeister. Zwar wurde die Werkstatt 1925 aus Mangel an Aufträgen geschlossen, doch der Bauhaus-Mythos Glas hat bis heute Bestand.
Faszination Glas
Wenn Sonnenstrahlen durch die farbigen Glasfenster einer gotischen Kathedrale schimmern, dann ist es das Spiel von Licht und Farbe, das den Betrachter in seinen Bann zieht. Licht und Glas werden aber erst durch Glashandwerker und Glashandwerkerinnen zum Erlebnis. Gefragt sind Kreativität, technisch einwandfreies Können und fundiertes fachliches Know-How, damit aus dem vielseitigen Werkstoff einzigartige Kunstwerke entstehen.
Es ist ein sonniger Herbsttag, als ich eine solch talentierte Handwerkerin in Erfurt treffen darf. In ihrer Gläsernen Werkstatt empfängt mich Sandra Meinung, freiberufliche Diplom-Restauratorin (FH) für Glasmalerei und Glasfenster. Ich betrete ihr Atelier im Innenhof des Erfurter Gildehauses und bin sofort beeindruckt von den vielen Objekten aus Glas, die sich hier in Vitrinen, an der Decke hängend und an den Wänden präsentierten. Sie führt mich direkt zu ihrer Werkbank, auf der mir viele einzelne Glasstücke ins Auge fallen. "Das wird ein Fenster für einen Wintergarten", erklärt sie mir. "In diesem Fall darf ich sehr kreativ sein, denn bis auf einige Farbvorgaben hat mir die Auftraggeberin freie Hand gelassen. Das ist natürlich der Idealfall."
Experiment an der Werkbank
Ich frage mich, wie denn die einzelnen Glasstücke zu einem Fenster zusammengesetzt werden. Frau Meinung klärt mich auf und stattet mich sogleich mit Werkzeug aus... Na dann, ran an die Werkbank.
Die Glasmalereiwerkstatt am Bauhaus
Sandra Meinung ist täglich aufs Neue fasziniert vom Werkstoff Glas. Genauso fasziniert zeigt sie sich von den Bauhaus-Künstlern: "Mich beeindruckt, wie die Künstler damals so Vieles in ihr Schaffen mit einbezogen haben, wie sie die Dinge in Zusammenhängen betrachteten."
Die Werkstatt für Glasmalerei wurde im Oktober 1920 am Staatlichen Bauhaus eingerichtet. Die Leitung übernahm bis 1922 Johannes Itten, gefolgt von Paul Klee, der bis 1925 dort tätig war. Carl Schlemmer wirkte bis 1922 als Werkmeister, bevor Josef Albers noch im selben Jahr zum Gesellen berufen und als Werkmeister eingesetzt wurde. Albers blieb der einzige offiziell eingeschriebene Lehrling in dieser Werkstatt, während andere Studierende zumindest Entwürfe für Glasfenster schufen.
Das wichtigste Betätigungsfeld fand die Glasmalereiwerkstatt im Kontext mit den Bauten von Walter Gropius. Die farbigen Glasfenster von Albers im Haus Sommerfeld prägten entscheidend die Innenraumqualität. Die großformatigen Glasfenster im Treppenhaus des Grassi-Museums in Leipzig (nach Entwürfen von Albers) bildeten den Höhepunkt dieser Entwicklung. Da aber die Nachfrage nach Erzeugnissen der Werkstatt gering blieb, wurde sie am Bauhaus in Dessau nicht wieder eingerichtet. Das Thema Glasgestaltung blieb am Bauhaus dennoch präsent: Glas in Kombination mit elektrischem Licht wurde zu einem zentralen Thema der Metallwerkstatt und der Architekturabteilung.
Jena als Experimentierfeld
Was die meisten nicht wissen: Jena war für die Avantgardekünstler am Weimarer Bauhaus extrem wichtig. Die Stadt war sozusagen die verlängerte Werkbank, das Experimentierfeld. Jena zeigte sich Anfang der 1920er Jahre äußerst aufgeschlossen gegenüber den Ideen der Bauhäusler. Die Universität und die städtischen Behörden unterstützten die Vertreter der Neuen Sachlichkeit unter anderem in der Verwirklichung ihrer architektonischen Vorstellungen. Walter Gropius, Adolf Meyer, Otto Bartning und Ernst Neufert ließen durch ihre Bauten Jena zu einem Zentrum modernen Bauens in Thüringen werden. Als Zeugnisse des Neuen Bauens stehen u. a. Haus Auerbach, Villa Zuckerkandl oder das Abbeanum.
Das geistige Klima in Jena führte auch zu intensiven Kontakten mit der Industrie. Der heutige Technologiekonzern SCHOTT AG stellte den von Gerhard Marcks 1926 entworfenen Designklassiker, die Kaffeemaschine Sintrax, her. Das wechselseitige Interesse von Bauhaus und Schott war schon in der Küche des Musterhauses Am Horn zur Bauhaus-Ausstellung 1923 ablesbar, zu dessen Ausstattung Backgeschirr aus Jenaer Glas gehörte. Auch ging die bekannte Wagenfeld-Kanne in Jena in Serie. Wilhelm Wagenfeld entwarf sie während seiner Zeit als freier Mitarbeiter beim Jenaer Glaswerk Schott + Genossen. Außerdem entwarf er 1924 die Leuchten MT8, Metallversion, und MT9, Glasversion - besser bekannt als Bauhaus-Leuchte - die noch im selben Jahr in geringen Stückzahlen aufwendig gefertigt wurde. Aufgrund des hohen Verkaufspreises war die Leuchte damals jedoch nicht massentauglich. Erst 1980 erlebt sie ihr Revival und gilt bis heute als Ikone des Bauhauses.
Architektur-Mythen des Bauhauses: Die Glasfassade
Bauhaus und Glas - diese Kombination zeigt sich auch heute noch wunderbar am Bauhausgebäude von Walter Gropius in Dessau. Die Transparenz durch große ungeteilte Fenster ist das Markenzeichen dieses Baus. Wechselseitige Durchdringung gehört zu den Prinzipien der Moderne, deshalb sollte Transparenz auch ein politisches Statement sein: Glas als Symbol für eine transparente Demokratie, die nichts zu verbergen hat. Doch die Glasfassade hat einen großen Nachteil: durch die Einfachverglasung ist es im Sommer heiß und im Winter bitterkalt. Zudem ist es eher zu viel Licht, was hereinkommt. Aber Gropius bestand auf die Einfachverglasung, da das Gebäude maximal transparent sein sollte.
Ohne Zweifel: obwohl es in den 1920er Jahren keine großen Fensterflächen gab, verbinde auch ich diese ganz automatisch mit der Bauhaus-Architektur. Genauso wie kubusförmige weiße Bauten mit Flachdächern. Mythos oder nicht - meine Sicht auf den Werkstoff Glas hat sich nach meinem Besuch in Frau Meinungs Werkstatt verändert. Ganz anders denke ich jetzt über die Herstellung und Verarbeitung nach und finde es wirklich spannend, wie die Bauhäusler von einst bereits vor 100 Jahren mit Glas experimentierten. Die Zeit wird zeigen, welche architektonischen Neuerungen und Gebrauchsgüter uns in Zukunft erwarten.
TIPP: Grand Tour der Moderne
Neben den Zeugnissen der Moderne in Jena, wie dem Haus Zuckerkandl oder Haus Auerbach, sind auch in anderen thüringer Städten die Einflüsse auf das moderne Bauen sichtbar. Den Spuren des Bauhaues folgt man am besten auf der „Grand Tour der Moderne Thüringen“. Diese besondere Reiseroute führt zu beeindruckenden Orten in Thüringen, an denen das Bauhaus und seine Zeit erlebbar werden, und verknüpft vor Ort die spannende Geschichte der Moderne mit der Gegenwart.
> Mehr erfahren zur Grand Tour der Moderne Thüringen
(Falls nicht anders gekennzeichnet, Fotos: ©Dominik Saure, Thüringer Tourismus GmbH.)
Ausstellung Leuchten der Moderne
Getragen von der wirtschaftlichen Entwicklung der Unternehmen Zeiss und Schott gelang Jena um 1900 der Sprung in die Moderne. Wiederholt ist in den 1920er-Jahren mit Künstlern des Bauhauses zusammengearbeitet worden. Die Ausstellung im Stadtmuseum Jena gibt vom 27.09.2019 bis 29.03.2020 einen umfassenden Blick auf das frühe Kapitel des modernen Leuchtendesigns. Mehr erfahren
Gläserner Christbaumschmuck aus Thüringen

Die Glasbläserstadt Lauscha inmitten des Thüringer Waldes ist die Geburtsstätte des gläsernen Christbaumschmucks. Noch heute werden hier die Kostbarkeiten in Handarbeit hergestellt. Weihnachten steht quasi schon vor der Tür: Wie wäre es denn in diesem Jahr mit einer Weihnachtsgurke am Baum? Erfahrt hier, was es damit auf sich hat.
Kommentare