Flussfahrt fĂĽr GenieĂźer

Entlang des Werratal-Radwegs

Sicher, man könnte diese Radtour ganz flott bewältigen. Aber macht das Sinn? Der Werratal-Radweg ist einer der schönsten Radwege Deutschlands – es lohnt sich also, hier und da einen Gang zurückzuschalten.

So lassen wir uns das Radeln gefallen: Kein Auto weit und breit, die Grillen zirpen und der Radweg führt mal durch den Wald, mal zwischen blühenden Wiesen und wogenden Feldern, mal durch kleine Orte und Städtchen. Die Werra, der Fluss, der den roten Faden für unsere Tour bildet, bleibt fast immer im Blick. An diesem sonnigen Sommer-Sonntag kommen wir gut voran, die Strecke ist fast eben und bestens ausgeschildert. Immer wieder begleiten wir eine Weile die Paddler auf dem Fluss, radeln nebenher, bleiben am Ufer stehen und schauen zu. Zum Beispiel hier in Creuzburg an der Kanu-Station. Dort werden Familien mit den nötigen Dingen versorgt, Kinder bekommen leuchtend orange-rote Schwimmwesten, Paddel werden verteilt.

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Oft sind es nicht die sportlichen Wasserwanderer, die hier auf der Werra unterwegs sind, sondern eher Genießer und Lebenskünstler. Manche haben Sonnenschirme auf dem Schlauchboot aufgespannt, Kinder lassen die Füße ins Wasser baumeln, dort drüben spielt einer Gitarre und die ganze Familie singt mit. Der Picknickkorb ist fast immer an Bord. Gemächlich treiben die Boote den Fluss hinunter. Eine sommerliche Szenerie voller Lebensfreude.

Auch bei uns ist alles im Fluss, die Pausen sind das Schönste an der Radtour. Zum Beispiel in Creuzburg: Die Burg ist schon von Weitem sichtbar. Um 1170 erbaut, zählt sie zu den größeren romanischen Burganlagen Deutschlands und bildet den Mittelpunkt des Städtchens. Sie war Residenz der ThĂĽringer Landgrafen und Aufenthaltsort der Heiligen Elisabeth. Heute ist sie ein beliebtes Ausflugsziel mit Restaurant, Aussichtsterrasse, Burgmuseum, einem historischen Folterkeller, einer Töpferwerkstatt und einem kleinen Park. Jedes Jahr an Pfingsten findet der Mittelaltermarkt auf dem Burghof statt – mit viel Klamauk, Tanz und dem ganzen Mittelaltergedöns: Handlesen, verwegen gekleideten Handwerkern und Bäckern, die gefährlich aussehende Dinge backen.

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Der Werratal-Radweg ist einer der schönsten Radwege Deutschlands. Die Werra windet sich von den Höhen im Naturpark ThĂĽringer Wald bis nach Hannoversch MĂĽnden in Niedersachsen, wo Werra und Fulda zur Weser zusammenflieĂźen. Der Radweg startet in Neuhaus am Rennweg, ganz in der Nähe entspringt der Fluss mit zwei Quellen. Der Streckenverlauf passt sich oft den Flusswindungen an, insgesamt sind es mehr als 300 Kilometer, und etwa 200 davon fĂĽhren durch ThĂĽringen. Am Weg liegen zum Beispiel die schöne Theaterstadt Meiningen oder Bad Salzungen mit seinem Solebad und dem eindrucksvollen Gradierwerk, auch Eisenach ist nicht weit. Die wahren Entdeckungen aber sind die stillen Winkel und die kleinen Städtchen am Fluss, wie zum Beispiel Lauchröden, Mihla, Frankenroda, Treffurt oder eben Creuzburg.

Heute ist der zweite Tag unserer Wochenendtour, die von Gerstungen nach Treffurt fĂĽhren wird. Wir haben die Etappen bewusst kurzgehalten, nur 30 bis 40 Kilometer pro Tag. Wäre einfach zu schade, denn es gibt hier so viel zu entdecken. Auch wenn’s erst einmal unspektakulär angefangen hat: In Gerstungen, einem kleinen Städtchen mit nicht viel mehr als einem schönen Ortskern, der einen oder anderen Kneipe und dem Werra-Stadion direkt am Fluss, in dem die örtliche Jugend gegen die Konkurrenz aus dem Nachbarkreis kickt. Ländliches SamstagvormittagsvergnĂĽgen eben – zwischen Radweg und Werra. GemĂĽtliches Radeln ohne groĂźe Ups and Downs, durch grĂĽn leuchtende Buchenwälder, durch Felder und Wiesen. In Hörschel, wo der Rennsteig beginnt, sind wir nach rechts ab vom Werratal-Radweg abgebogen und die 11 Kilometer auf dem Herkules-Wartburg-Radweg nach Eisenach gefahren, dem Ziel dieser ersten Etappe – ein kulturelles Highlight der Tour und eine gute Station fĂĽr die Ăśbernachtung. Wir waren frĂĽh genug da – sodass wir am späten Nachmittag noch einen Bummel durch die Wartburg machen konnten. Hotelmäßig hat man in Eisenach die groĂźe Auswahl – und auch bei den Restaurants. Wir waren uns am ersten Abend einig: ThĂĽringer Klassiker sollten es werden: Roulade mit Klößen, dazu ein Glas kĂĽhler ThĂĽringer WeiĂźwein aus der Region Saale-Unstrut – Radlerherz, was willst du mehr?

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Die DDR und die ehemalige deutsch-deutsche Grenze sind immer wieder ein Thema bei dieser Radtour. Dann zum Beispiel, wenn plötzlich auf der StraĂźe eines der braunen Schilder steht mit der Aufschrift: „Hier waren Deutschland und Europa bis zum 24. März 1990 um 9 Uhr geteilt.“ Oder wenn man auf der Radkarte nach dem richtigen Weg sucht und sieht, wie die hessisch-thĂĽringische Grenze verläuft. Oder wenn eines dieser Wachhäuschen am Weg steht, in dem frĂĽher die Kontrollposten fĂĽr die FĂĽnf-Kilometer-Sperrzone saĂźen und den Menschen im Grenzgebiet das Leben schwer machten. Orte tauchen auf, die Geschichte geschrieben haben, GroĂźburschla zum Beispiel: Das Dorf wurde von seinem eigenen Bahnhof durch die Werra und die Grenze getrennt und lag nach 1945 in „der Zone“. Doch 1952 fiel der Eiserne Vorhang. GroĂźburschla war wie ein Gefängnis eingeschlossen. Von drei Seiten von der Grenze mit Stacheldraht, Selbstschussanlagen und Minenfeldern umschlossen, ragte der Ort nach Hessen hinein. Erst am 13. November 1989 war der Tag der Wiedervereinigung fĂĽr diese Region – als sich der Schlagbaum zwischen GroĂźburschla und Bahnhof GroĂźburschla öffnete. Heute fĂĽhren viele Wanderwege auf den ehemaligen Kolonnenwegen das GrĂĽne Band entlang.

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Treffurt ist das Ziel unserer Tour. Das schöne Fachwerkstädtchen liegt im Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal und am Rand des Nationalparks Hainich. Ăśber der Stadt erhebt sich die Burg Normannstein aus dem 12. Jahrhundert mit ihren drei TĂĽrmen. Sie wurde zum Schutz der drei Furten durch die Werra, die der Stadt auch ihren Namen gaben, erbaut. Umgeben ist die Stadt von ausgedehnten Laubwäldern und vom Heldrastein, dem mit 503 Meter höchsten Berg im Werratal. Von dort aus genieĂźt man einen herrlichen Blick weit ĂĽbers Werratal hinaus. Da wollen wir heute am späten Nachmittag hinauf. Jetzt aber erst noch mal radeln: Zwölf Kilometer sind’s noch bis Treffurt. Von Creuzburg, ĂĽber Mihla und Frankenroda, wo wir – kurz vor dem Ziel – noch einmal eine Pause einlegen. Einfach sitzen und den Paddlern zuschauen. Schön ist das. An der Ecke zeigt ein Schild zum „CafĂ© Gisela“. Da gibt’s bestimmt einen Kaffee und Erdbeerkuchen – das wär’ doch auch noch was, oder?

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Mehr Natur entdecken?

Ein Urwald in ThĂĽringen

Der Hainich ist mit 13.000 Hektarn das größte zusammenhängende Laubwaldgebiet Deutschlands. Rund die Hälfte davon ist Nationalpark und seit 2011 sogar UNESCO Weltnaturerbe. Große Waldflächen waren jahrzehntelang militärisches Sperrgebiet und blieben völlig unberührt. Die Natur entwickelte sich nach ihren eigenen Gesetzen und der „Urwald“ kehrte zurück.

Titelbild: Â©Joachim Negwer, ThĂĽringer Tourismus GmbH


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