Weltbummler im Heimaturlaub

Spurensuche im Haus der Weimarer Republik

“Hi, my name is Anna. I’m from Thuringia, Germany.” Wie oft ich diesen Satz schon gesagt habe, weiß ich nicht genau. Ich bin 35 Jahre jung, ungebunden, unkompliziert und neugierig. Nach meinem Studium und zahlreichen Auslandsaufenthalten habe ich eine Tätigkeit im Auslandsmarketing begonnen. Reisen war schon immer meine große Leidenschaft. Fremde Kulturen und andere Länder erkunden, die „Locals“ mal ganz privat kennenlernen macht mir besonders viel Freude. Inzwischen habe ich Freunde auf der ganzen Welt. Manche bezeichnen mich als Weltenbummler. Aber ich kehre immer wieder gern zurück in meine Heimat, nach Thüringen. 

Immer ein Stück Heimat im Gepäck

Wenn ich unterwegs bin, werde ich viel über meine Heimat gefragt. Viele Leute können nicht mal was anfangen mit dem Begriff Thüringen oder „Thuringia“. Ein richtiger Zungenbrecher ist das auf Englisch. Ich erkläre dann, dass es ein Bundesland ist und in der Mitte Deutschlands liegt. Und ich erzähle von der Wartburg, vom Thüringer Wald und von historischen Städten wie Weimar. Spätestens wenn ich das Wort „Weimar“ erwähne habe ich meine Gegenüber erreicht. Er/sie kramt im Gedächtnis und kontert oftmals direkt auf Englisch mit „Ah, the Weimar Republic“. Aber außer einem Nicken und lächeln kann ich inhaltlich dann gar nicht viel Wissen beitragen. Zugegeben: in Geschichte kenne ich mich nicht so gut aus. Aber das wurmt mich schon länger. Und ich frage mich: Warum kennen so viele Menschen auf dieser Welt diese „Weimarer Republik?“ Was ist damals eigentlich passiert und war so besonders daran?


Auf nach Weimar!

Ich beschließe auf eine Erkundungsreise in der Heimat zu gehen. Reisen bildet – und frei nach Goethes Motto „Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah…“ fahre ich an meinem freien Wochenende mit meinem kleinen Auto nach Weimar. Zugegeben: Hier war ich das letzte Mal während meiner Schulzeit. Auf einer Klassenfahrt haben wir damals das Goethe-Nationalmuseum und die Gedenkstätte Buchenwald besucht. Die quirlige Kulturmetropole hat im historischen Zentrum nicht viel von ihrem Reiz verloren. Ich schlendere ein bisschen durch die Fußgängerzone. Der Besucherstrom treibt mich wie automatisch zum Theaterplatz mit dem Goethe-Schiller-Denkmal, einem beliebten Fotomotiv der vielen Kulturtouristen. Hier werde ich dann fündig: „Haus der Weimarer Republik“ steht in großen Buchstaben auf dem Gebäude direkt vis à vis des Deutschen Nationaltheaters. Genau da will ich heute in. Der Ort könnte für ein Museum nicht passender gewählt sein. Im Deutschen Nationaltheater, tagte damals die Nationalversammlung. Genau 100 Jahre nach der Gründung der Weimarer Republik wurde an diesem authentischen Ort ein Museum eröffnet. Mit großen Fenstern und dem direkten Blick auf den belebten Theaterplatz ist es eine Erinnerungsstätte mit Bezug zur Gegenwart und Forum für Demokratie zugleich. 

 

Schließfächer im Haus

Jedes Schließfach im Haus ist einer wichtigen Persönlichkeit der Weimarer Jahre zugeordnet ©Candy Welz, Weimarer Republik e.V.

 

Los geht’s im Kinosaal

Ich trete ein. Das längliche Foyer ist gedacht als kleines Besucherzentrum. Man zweigt ab zum Café, informiert sich auf einer Karte über weitere Orte der Moderne in Weimar oder kauft sich einfach ein Ticket für die Ausstellung – so wie ich heute. Meine Zeitreise beginnt mit einem kurzen Film im angrenzenden Mini-Kinosaal. Der Kinobesuch ist kostenfrei – auch für Schnupperbesucher möglich und bietet einen multi-medialen Einstieg in die Geschichte der Weimarer Republik. Direkt nebenan kann ich auch meine Tasche ablegen – die Schließfächer tragen Namen, von berühmten Bauhäuslern, Schauspielern oder Politikern seiner Zeit. Witzig gemacht, denke ich und entscheide mich für die „Comedian Harmonists". 
Die Ausstellung selbst besteht eigentlich nur aus einem einzigen Raum mit einem schönen, hellen Oberlicht, den man durch die sogenannte Revolutionsschleuse betritt. Das Ende einer Epoche und der damit einhergehende Wandel vom Kaiserreich hin zur Demokratie rund um den ersten Weltkrieg wird hier eindrucksvoll inszeniert. Die Weimarer Republik bestand eigentlich nur für eine ziemlich kurze Zeit lerne ich, von 1919 bis 1933... 

 

Zeitstrahl in der Ausstellung im Haus der Weimarer Republik

Der Zeitstrahl in der Ausstellung im Haus der Weimarer Republik dient der Orientierung ©Candy Welz, Weimarer Republik e.V.


Eine Ausstellungswelt mit „Zeitkapseln“

Die Revolutionsschleuse umfasst zwei der insgesamt sechs beeindruckenden Themenwelten der Ausstellung. Vier weitere „Zeitkapseln“ laden mit Kurzfilmen aus den Jahren 1919, 1923, 1929 und 1932 zu vollkommen authentischen Erlebnissen ein und machen Lust darauf, weitere Themenbereiche an den Längsseiten des Raumes zu entdecken. Plakate, Flaggen, historische Apparate oder andere Exponate sind hier untergebracht. Das alles wird, wie im ganzen Haus, eindrucksvoll zweisprachig (dt./engl.) erklärt oder mit schwarz-weiß Bildern dieser Zeit visualisiert. Insgesamt laden über 20 Tast- bzw. Hörstationen ein, diese Zeit der Weimarer Republik tiefer zu erkunden. Sonderthemen wie die revolutionäre Entwicklung des Radios und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft finde ich besonders beeindruckend. 
Der Orientierung hilft ein übergroßer, illuminierter Zeitstrahl in der Mitte des Raumes. Auf dieser raum-einnehmenden Tafel werden die wichtigsten Ereignisse in den Fokus genommen und mit Bildern veranschaulicht. Wie automatisch bewegt man sich auch nicht kreisförmig durch diese Ausstellung. Ich laufe sternförmig von innen (Zeitstrahl) vorbei an einer Mediensäule (Zeitkapsel) bis nach außen, um in Anschluss wieder in der Mitte zu beginnen. Immer wieder bleibe ich stehen und vertiefe mich aufs Neue, denn der Ausstellungsraum hält so unendliche viele unerwartete Entdeckungen bereit, die es zu erkunden gilt.

 

Das Gefühl von Freiheit

Ich bin beeindruck von den vielen Facetten der Ausstellung und bemerke gar nicht, wie die Zeit vergeht. In Windeseile sind zwei Stunden vergangen – Zeit für eine kleine Pause im sich anschließenden Café. Der kleine Künstlergarten dahinter fällt mir jetzt erst auf – das ist ein echter Geheimtipp! Er liegt ein bisschen versteckt und stellt mit seiner kleinen Bühne ein wunderschönes Refugium mitten im Herzen Weimars dar. Als ich nun ganz entspannt im Café sitze und über den Theaterplatz schaue, reflektiere ich erst so richtig, wie viele Errungenschaften und Facetten des heutigen Lebens auf die Weimarer Republik zurückgehen. Sie stehen für Mut zum Neubeginn und für den Wunsch, die Welt neu und demokratisch zu denken. Frauenwahlrecht, Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Glaubensfreiheit, die Einführung einer Arbeitslosenversicherung oder des 8-h-Tages sind nur einige Beispiele. Auch die schwarz-rot-goldene Flagge fand als neues Symbol für die Nation den Eingang in eine der wohl modernsten Verfassungen der Welt. Vieles, was 1919 Eingang in die Verfassung fand, bildete später das Fundament für unser heutiges Grundgesetz. Die Weimarer Republik bildete die Grundlage für ein demokratisches Deutschland. Ein Gefühl von Freiheit und Dankbarkeit dafür durchströmt mich. Freiheit bzw. Freiheiten, die in vielen Ländern und damit für viele meiner Freunde auf der ganzen Welt bis heute noch nicht selbstverständlich sind...

 

Aus Thüringen in die Welt

Bauhaus und Moderne

Das neue Denken und Schaffen der Visionäre dieser Zeit hat das Verständnis und die Entwicklung von Kunst und Design in vielen Bereichen weltweit grundlegend verändert. Und die Wiege dieser bahnbrechenden Erfolgsgeschichte war Weimar. Erfahrt, wie der Geist des Bauhauses in Thüringen weiterlebt und entdeckt die vielen Zeugnisse dieser besonderen Zeit.

Headerbild ©Florian Trykowski, Thüringer Tourismus GmbH

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