In einem Land vor unserer Zeit

Der Kyffhäuserweg

Bier im Kupferfuß, Gips in der Höhle, sagenumwobene Geschichten: Bei einer Wanderung nähert man sich den Geheimnissen des Kyffhäusers aufs Schönste.

Vielleicht muss man sich das so vorstellen: Ein warmer Frühlingstag 1896, Mai oder auch schon Anfang Juni, der Schweiß rinnt, die Luft flirrt, die Schwalben fliegen ihre Achten in den Himmel über dem Kyffhäuser. Und oben am Denkmal gönnen sich die Münchner Arbeiter ein Bier aus der Heimat. Fertig! Endlich! Etliche Wochen lang haben sie vorgefertigte Kupferplatten miteinander vernietet, bis das Standbild fertig war, und nun sitzt er endlich hoch auf seinem Ross, der Kaiser Wilhelm I. Jetzt muss nur noch aufgeräumt werden. Weil sie nicht wissen, wohin mit dem Leergut, verstauen die Arbeiter die Flaschen kurzerhand im noch unverschlossenen Huf des Denkmalpferdes. Wo sie dann 117 Jahre später hinter der Abdeckung gefunden werden, 2013, bei der Restaurierung. Die Geschichte steht auf einer Tafel im Innern des Turms, und vor der Tafel stehen zwei Wanderer. „Das ist ja unglaublich!“, sagt die Frau und lockert die Riemen ihres Rucksacks, „dass die ihr Bier aus Bayern mitgebracht haben!“ Sie schüttelt den Kopf. Aus Bayern. Wo es doch so Gutes in Thüringen gebe. „Lass uns mal was trinken gehen“, meint ihr Mann, „und dann weiter.“

Der Kyffhäuser

Sagenhafter Berg! Voller Geheimnisse! Kaiser Barbarossa soll tief und fest in seinem Innern schlafen, mehr als 800 Jahre bereits. Und wer weiß schon, welche Schätze die Herren der Reichsburg Kyffhausen im Mittelalter in den Wäldern verstecken ließen, als Gefahr durch den Feind drohte? Und sucht man nicht selbst im tiefen Brunnen der alten Feste noch immer nach verborgenem Gold und Silber? Auf jeden Fall steht fest: Wenn man auch nur ein paar Geschichten kennt, die sich um den berühmtesten Berg Thüringens ranken - dann wandert man hier nicht allein. Dann hat man immer das Raunen der Vergangenheit im Ohr.

Auf insgesamt 37 Kilometern ist der Kyffhäuserweg die schönste Annäherung, die man an den Mythenberg haben kann. Das geht schon in Bad Frankenhausen los, wo die meisten Wanderer die zwei oder drei Tagesetappen-Tour starten: nette, ruhige Straßen, kleine Cafés und Restaurants, vor denen man morgens frühstücken und abends den Tag beim Bier ausklingen lassen kann.

Von Bad Frankenhausen führt der Weg nach Westen, aber zuerst muss man sich natürlich die Oberkirche ansehen, oder besser: ihren Turm. Der neigt sich seit wer weiß wie lange schon Millimeter um Millimeter zur Seite und ist längst der schiefste in ganz Deutschland. Anschließend noch schnell ins Panorama Museum – und dann los. Auf den Kyffhäuserweg. In den Wald.

Geologisch gesehen ist der Kyffhäuser überhaupt kein Berg, sondern ein komplettes kleines Mittelgebirge, 12,5 Kilometer lang und 5,5 breit. Mit seinen plus/minus 400 Metern Höhe ragt es aus dem flachen Land empor, als wolle es allen mal zeigen, dass man kein Gigant sein muss, um wie ein richtiges Gebirge auszusehen. Und sich übrigens auch so anzufühlen: Es gibt Passagen auf dem Kyffhäuserweg, auf denen man ganz schön ins Schwitzen gerät, weil es ziemlich steil nach oben geht, dann wieder hinunter, dann wieder hinauf. Zur Belohnung ist das Panorama unschlagbar: Diamantene Aue heißt die Ebene mit den Feldern, in die man auf der ersten Etappe der Wanderung hinunterblickt. Später auf dem Kyffhäuserweg sieht man dann im Norden hinab in die Goldene Aue. Auch solche Namen tragen dazu bei, dass man manchmal den Eindruck hat, man wandere in einem Land aus einer anderen, längst vergangenen Zeit.

 

Die Kyffhäuser-Sage

Am 10. Juni 1190 ertrank in der heutigen Türkei der Stauferkaiser Friedrich I. („Barbarossa“) auf dem Weg nach Jerusalem. Er sollte der einzige Herrscher des Mittelalters bleiben, von dem man nicht weiß, wo genau er beigesetzt ist – was bereits im Mittelalter zu wilden Spekulationen, Gerüchten und Geschichten führte, deren Wahrheitsgehalt bis heute nicht nachprüfbar ist. Wahrscheinlich entstand später auch die Kyffhäuser-Sage auf diese Weise: Barbarossa, so heißt es, sei überhaupt nicht tot – er schlafe lediglich, auf einem Thron tief im Innern des Kyffhäusers. „Er hat hinabgenommen / des Reiches Herrlichkeit“, schrieb Friedrich Rückert in seinem berühmten Gedicht, „und wird einst wiederkommen / mit ihr zu seiner Zeit.“ Alle hundert Jahre, weiß die Sage, erwache Barbarossa kurz und schicke einen Zwerg nach draußen, um Ausschau zu halten: „Und wenn die alten Raben / noch fliegen immerdar / so muss ich auch noch schlafen / verzaubert hundert Jahr.“

Und dann geht es ja auch noch in den Kyffhäuser hinein. Und ist es nicht tatsächlich mystisch hier unten in der Barbarossahöhle? Im Schein der Taschenlampe entdeckt man unterirdische Seen, auf deren Oberfläche sich die Decke spiegelt, und wenn man lange genug hinsieht, weiß man beim besten Willen nicht mehr, was Wirklichkeit ist und was lediglich Spiegelung. Die Höhle ist übrigens besonders beliebt bei Akustikspezialisten. Weil die Oberfläche der Decke durch Hunderttausende herabhängende natürliche Gipslamellen unendlich vergrößert wird, existieren weder Hall noch Echo. Selbst Barbarossa könnte sich hier ungehört bewegen.

Draußen im Wald

Vogelgezwitscher. Spechtgehämmer. Hummelgebrumm. Der Wind lässt das Laub in den Wipfeln rauschen; man hört nur den Wald, das Knarzen der Bäume, das Rascheln des Grases. Auch das macht den Kyffhäuser so besonders: Weil er sich so klar und deutlich vom Land um ihn herum abgrenzt, kommt er einem manchmal wie eine eigene, kleine Welt vor. Eine, in der man völlig ungestört unterwegs ist. Der Kyffhäuserweg ist kein Massenziel. Hin und wieder kommen einem andere Wanderer entgegen, hallo, geht’s gut, wie weit noch bis zum Denkmal? Zwei Minuten später ist man wieder allein.

Das 360-Grad-Panorama vom Denkmal aus ist dann wahrscheinlich das beeindruckendste, das man in Thüringen haben kann. Ist das ein Blick! Reicht der weit! Ganz hinten am Horizont glaubt man sogar, die leichte Krümmung der Welt erkennen zu können.

Der Kyffhäuserweg führt entlang vieler kleiner Dörfer, die sich malerisch in die Landschaft einbetten.

Und davor liegt Kelbra. Und Sittendorf. Und Tilleda, wo man nachher übernachten will, bevor es am nächsten Tag über die Obstwiesen an den Osthängen des Kyffhäusers weitergeht. Zurück nach Bad Frankenhausen. Vielleicht hat es ja mit diesen Panoramen zu tun. Vielleicht kommt man den Geheimnissen des Kyffhäusers nur deshalb nicht auf die Spur, weil man immer von ihm weg sieht, über die Auen, über die Felder, zum Himmel, zum Horizont. Vielleicht sollte man seinen Blick nicht immer in die Ferne schweifen lassen – sondern besser mal aufmerksam dorthin schauen, wo man in diesem Mittelgebirge steht und geht. Die leeren Bierflaschen im Huf des Kaiserrosses waren ja auch die ganze Zeit über da. Man hat bloß nicht genau genug hingesehen.

 

Kyffhäuserweg

Er führt in drei Tagesetappen durch das sagenumwobene Gebirge. Sportliche Wanderer schaffen die 37 Kilometer Rundweg auch in zwei Tagen. Zu den Höhepunkten am Weg gehören das Panorama Museum in Bad Frankenhausen, die Barbarossahöhle, das Kyffhäuser-Denkmal mit der mittelalterlichen Burgruine sowie die Königspfalz Tilleda. Tipp: Der Kyffhäuser-Rufbus liest müde Wanderer während des Sommers auf Bestellung auf. Bild ©Gregor Lengler, Thüringer Tourismus GmbH

 

Titelbild & Bild Infobox: ©Gregor Lengler, Thüringer Tourismus GmbH

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