Natur ist grenzenlos

Das Grüne Band in Thüringen

Wo heute Orchideen blühen und Braunkehlchen balzen, teilte jahrzehntelang eine Grenze Deutschland in Ost und West. Aus dem ehemaligen „Todesstreifen“ ist eine Lebenslinie geworden, ein wichtiges Rückzugsgebiet für bedrohte Tiere und Pflanzen. Eine Wanderung wie jede andere ist eine Tour am Grünen Band jedoch nicht

Grenzerfahrung 

Ein Bach plätschert über bemooste Felsen, über mir ein grünes Dach aus Buchenblättern. Vögel zwitschern um die Wette, ein paar Sonnenstrahlen fallen auf weiße Blüten auf dem Waldboden. Das sieht nicht aus wie eine Grenzerfahrung, eher wie eine Naturidylle. Aber so friedlich war es hier nicht immer. Das weiß ich aus erster Hand, denn ich bin in der Nähe aufgewachsen.


Blick von der Burg Hohnstein im Südharz ©Aaron Moser, Thüringer Tourismus GmbH

Die Grenze war für uns ein undeutliches Drohgebilde. Genaues über ihre Beschaffenheit wussten wir nicht, aber Gerüchte gingen um. „Bleibt in der Nähe des Ortes“, warnten unsere Mütter, wenn wir Kinder einander draußen zum Spielen trafen.  Wir legten uns trotzdem auf die Lauer im Wald und lauschten dem fernen Gebell der Wachhunde an der Grenze. Man erzählte sich, sie liefen eingesperrt auf abgegrenzten Wegstrecken zwischen den Stacheldrahtzäunen hin und her.


Überreste des Grenzzauns der ehemaligen innerdeutschen Grenze ©Kathrin Kupka-Hahn, Rhön GmbH

Spurensuche 

Ich versuche hier im Wald zu erkennen, wo diese Grenze war. Doch da sind keine Zäune mehr, keine Gräben, Selbstschussanlagen oder Minenfelder. Auch kein Grenzsoldat, der mit erhobener Waffe hinter einem Baum hervorspringt. Nur hier und da ein paar alte Kolonnenwege, die nun langsam vom Grün überwuchert werden. Meine Wanderung ist wie eine Heilung, ein Abschließen mit der Vergangenheit. Ich mache meinen Frieden, angesichts der stillen Konsequenz, mit der die Natur die Wunden der Region schließt.


Blick von der Teufelskanzel auf Lindewerra ©HVE Eichsfeld Touristik e.V.

Im Gras raschelt eine Eidechse. Meine Schritte haben sie von ihrem Sonnenplatz aufgeschreckt. Die Luft, das Licht, die Farben – alles erfüllt mich. Das „Grüne Band“, was für ein schöner Name, denke ich, während ich Ausschau halte, ob ich vielleicht einen Schwarzstorch entdecken kann oder einen Feuersalamander. Dann plötzlich lichtet sich der Wald. Ein Aussichtspunkt. Ich setze mich einen Moment auf einen Felsblock und lasse den Blick schweifen. Um mich herum die grenzenlose Natur. Und unten im Tal das kleine Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Ob ich auf diesem Felsen schon „im Westen“ bin, wundere ich mich. Und muss schmunzeln über diese Frage, deren Beantwortung nun keine Rolle mehr spielt.

Das Grüne Band in Thüringen

Nationales Naturmonument

Das Grüne Band entlang dem Verlauf der ehemaligen ost-westdeutschen Grenze misst knapp 1.400 Kilometer. Allein 763 km davon, mehr als die Hälfte, umschließen Thüringen vom Südharz bis zum Schiefergebirge. In den Buchenwäldern, Sümpfen, Gipskarst- und Heidelandschaften des Biotopstreifens leben etwa 1.200 gefährdete Tier- und Pflanzenarten, darunter der Schwarzstorch, seltene Schmetterlinge und wilde Orchideen. Auch größere Tiere, wie etwa der Luchs, wurden an der thüringisch-hessischen Grenze gesichtet. Seit 2018 ist das Grüne Band in Thüringen ein Nationales Naturmonument – „als Schatzkammer der Artenvielfalt und lebendiges Denkmal der Geschichte“. Es öffnet den Blick auf Fragen der naturgerechten Landschaftsnutzung und reflektiert Deutschlands jüngere Geschichte.

Die Thüringer Geschichte der ehemaligen innerdeutschen Grenze wird am authentischen Ort aufgearbeitet und erzählt im Grenzlandmuseum Eichsfeld, in der Gedenkstätte Point Alpha und im Deutsch-Deutschen Museum in Mödlareuth.


©Titelbild  Kathrin Kupka-Hahn, Rhön GmbH


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