Jüdisches Leben in Thüringen im Mittelalter und im 19. Jahrhundert
Kulturreichtum, Alltag, Verfolgung
Jüdisches Leben in Thüringen im Mittelalter
Das jüdische Leben in Thüringen ist durch viele Jahrhunderte hindurch reich und voller Kontinuität gewesen – einzigartige Kulturschätze in den Städten des Landes zeugen davon. Seit dem Mittelalter entstanden jüdische Gemeinden in der Mitte Deutschlands. Meist gab es ein gutes nachbarschaftliches Miteinander von Juden und Christen. Jüdische Gelehrte befruchteten das Geistesleben, jüdische Bankiers hatten eine wichtige Funktion in Wirtschaft und Handel. Trotzdem kam es auch immer wieder zu Angriffen auf jüdische Gemeinden, die in den „Pestpogromen“ Mitte des 14. Jahrhunderts gipfelten – so auch am 21. März 1349 in Erfurt. Wenige Jahre nach dieser Katastrophe siedelten sich wieder Juden an. Jedoch lasteten hohe Abgaben und diskriminierende Vorschriften auf ihnen. Mitte des 15. Jahrhunderts wurden die jüdischen Bürger schließlich aus den größeren Städten vertrieben. Am eindrucksvollsten erzählen heute die baulichen Zeugnisse in Erfurt von der frühen Blütezeit mittelalterlicher jüdischer Kultur.
Historische Westfassade der Alten Synagoge Erfurt mit Rosettenfenster ©Florian Trykowski, Thüringer Tourismus GmbH
Alte Synagoge Erfurt
Man kann sie leicht übersehen, wenn man durch die Waagegasse schlendert. Die eindrucksvolle Fassade der Alten Synagoge liegt in einem Hinterhof in der Altstadt. Vor allem im Inneren entfaltet der Bau seinen einzigartigen Charme – er wurde zudem so restauriert, dass die wechselvolle Geschichte sichtbar geblieben ist. Das sakrale Gebäude geht auf die Zeit um 1100 zurück – älter ist keine so gut erhaltene Synagoge in Mitteleuropa. Der Bau wurde mehrmals erweitert, wuchs mit der Gemeinde mit. Dennoch war die Alte Synagoge nur bis 1349 Gotteshaus. Die Pest brach aus und bot europaweit den Vorwand für Pogrome gegen Juden, auch in Erfurt. Am 21. März 1349 wurde dort das blühende jüdische Leben zerstört. Die Stadt verkaufte im Anschluss die Synagoge an einen Händler, der sie zum Lagerhaus umbaute. Weitere Veränderungen erfolgten seit dem späten 19. Jahrhundert für die nun gastronomische Nutzung. Dadurch – und wegen der Nachbargebäude auf allen Seiten – war der Synagogenbau schließlich kaum mehr zu erahnen. Erst nach 1990 bestätigten Bauuntersuchungen die weitestgehend erhaltene Synagoge, die bis 2009 saniert und als Museum konzipiert wurde.
Heute veranschaulicht die Alte Synagoge die Geschichte der ersten jüdischen Gemeinde Erfurts – ebenso wie ihre eigene Historie. Beeindruckend ist der in der Nähe gefundene Schatz, den ein jüdischer Bankier vor dem Pogrom 1349 vergrub. Die Ausstellung zeigt auch Faksimiles der Erfurter Hebräischen Handschriften. Und man kann den Erfurter Judeneid aus dem 12. Jahrhundert betrachten, der als der älteste erhaltene Judeneid in deutscher Sprache gilt.
Mikwe Erfurt
Direkt hinter der Krämerbrücke, unten an der Gera, liegt die 1248/49 erstmals erwähnte mittelalterliche Mikwe. Stufen führten hinab zu dem steinernen Wasserbecken. Auf Höhe des damaligen Wasserstandes gibt es große Sandsteinquader in mehreren Lagen. Einen der Blöcke – umgekehrt eingemauert und ehemals unter Mörtel verborgen – ziert ein knapp 30 Zentimeter großer Kopf mit Lilienkrone. Seine Bedeutung bleibt bislang ein Geheimnis. Die Wasserversorgung des rituellen Bades erfolgte den Vorschriften entsprechend über „lebendiges“ Wasser, also durch Grundwasser. Männer besuchten das Bad vor hohen Feiertagen, Frauen nach Geburt und Menstruation. Durch ein Fenster kann man das Becken auch außerhalb von Führungen sehen.
Tipp: Friedhof und Mikwe in Sondershausen
Jüdisches Leben in Thüringen im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert verbesserte sich die Lage der Juden europaweit durch Gleichstellungsgesetze. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden in Erfurt, Mühlhausen, Sondershausen und in Südthüringen neue Synagogen. Jüdische Thüringer bereicherten das gesellschaftliche und kulturelle Leben. Manche Namen sind bis heute bekannt, wie z. B. die Brüder Moses und Löb Simson, die in Suhl Fahrzeuggeschichte schrieben.
Kleine Synagoge Erfurt
David Salomon Unger erhielt 1810 als erster Jude seit 1453 das städtische Bürgerrecht. Sein Sohn Ephraim Salomon Unger wurde 1860 gar Ehrenbürger Erfurts: Die jüdische Gemeinde Erfurts im 19. und 20. Jahrhundert und einige ihrer Persönlichkeiten sind Thema der Ausstellung im Keller der Kleinen Synagoge. Durch das Wachsen der Gemeinde wurde die 1840 eingeweihte Kleine Synagoge schon nach 44 Jahren zu klein und eine größere Synagoge errichtet, die 1938 in der Pogromnacht zerstört wurde. Die Kleine Synagoge wurde umgebaut und als Wohnraum bzw. Lager genutzt – und entging der Zerstörung im Nationalsozialismus. Nach der Restaurierung ist der Innenraum fast im ursprünglichen Zustand.
Blick auf Kleine Synagoge am Geraufer im Stadtzentrum von Erfurt ©Stadtverwaltung Erfurt
Tipp: Synagoge in Mühlhausen
Headerbild ©Christopher Schmid, cmr