Roadtrip mal klassisch

Mit dem Wohnmobil durch die Welt von Schiller und Goethe

Mit dem Wohnmobil durch die Welt von Schiller und Goethe? Das macht richtig Spaß. Es gibt viel zu sehen. Und abends lesen wir uns aus ihren Briefen vor.

Das Gras steht hoch, Insekten schwirren durch die Luft. Als die Abendsonne hinter den Baumwipfeln des Campingplatzes „Im Gütchen“ verschwindet, zünden wir Lampions an und lesen. „Ich war gerne hier – ich glaube, es kommt von der Harmonie, in der hier alles steht“, hat Johann Wolfgang von Goethe an Friedrich Schiller geschrieben, als er sich 1776 in Manebach aufhielt. Harmonie – für Goethe und Schiller, die beiden prominentesten Vertreter der Weimarer Klassik, wurde sie zum Leitgedanken. Ausgewogen, anmutig und voller Perfektion sollte Literatur sein. Als Vorbild galt den beiden die Natur. Denn wo sonst konnte es perfektere Formen, wo prächtigere Farben geben? Anna und ich wollen keine weltberühmten Schriftstellerinnen werden. Aber wie man in der Natur innehält, sie wertschätzt und aus ihr Inspiration schöpft, das wollen wir uns gerne abschauen. Um dem Geist der Klassiker nachzuspüren, haben wir uns auf eine viertägige Reise durch Thüringen begeben, von Weimar geht es über Ilmenau und Bauerbach bis nach Jena. Wir wandeln durch die Wohnräume der beiden Dichterfürsten, sitzen in ihren Gärten, spazieren wie einst Schiller und Goethe durch grüne Täler und Wälder. Doch während die beiden in Kutschen durch Thüringen rumpelten, sitzen wir gemütlich im Wohnmobil.

Unser Roadtrip startet in Weimar. Über 200 Jahre ist es her, dass Schiller und Goethe hier gelebt und gewirkt haben. Und doch kommen wir den beiden hier eigentümlich nahe. „Guck mal, Schillers Nachthemd“, rufe ich Anna zu. Und da! Auf einer Kommode liegt wie griffbereit ein Notizbuch. Und dann ist da das schmale Bett mit der kupfernen Wärmflasche am Fußende, an der sich der kränkelnde Schiller nachts wärmte. Die Dauerausstellung im ehemaligen Wohnhaus Schillers zu sehen, wo er seine letzten sechs Lebensjahre verbrachte. Gewaltig, was Schiller hier noch geleistet hat. Obwohl ihn immer wieder Fieberschübe schüttelten, flossen „Die Glocke“ und die Dramen „Maria Stuart“ und „Die Jungfrau von Orléans“ aus seiner Feder. Auch Goethe war in Weimar produktiv. Er wohnte ganz in der Nähe am Frauenplan. Heute steht hier das Goethe-Nationalmuseum. Goethe arbeitete meist in der Abgeschiedenheit es Hinterhauses. Und schätzte die Nähe zum Garten, den er vom Haus aus aus betreten konnte. Zart ist das Gelb der Rosen und Nelken dort heute; die Kapuzinerkresse leuchtet kräftig in Orange. Wir können uns gar nicht satt sehen. Goethe ging es ähnlich: „Wenn ich nur jemandem den Blick und die Freude mitteilen könnte…“, lesen wir später, auf dem Campingplatz bei Ilmenau, in einem seiner Briefe. Goethe, der große Literat, er fand keine Worte.

„Über allen Gipfel ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du, kaum einen Hauch. “Die Zeilen aus Goethes „Wandrers Nachtlied“ ergreifen mich genauso wie der Blick auf den Thüringer Wald, der tiefe Ruhe verströmt. Es ist Tag zwei, und wir sind auf dem Goethewanderweg unterwegs, der von Ilmenau, wo Goethe als Bergbauminister beschäftigt war, nach Stützerbach führt. Der 20 Kilometer lange Weg führt an den Wirkungsstätten des Dichters vorbei – am Berg Kickelhahn, auf dem Goethe sein Nachtlied schrieb, und am Schwalbenstein. Nur einen Tag brauchte Goethe auf auf diesem Felsvorsprung, umgeben vom harzigen Waldgeruch, für den vierten Akt seiner „Iphigenie auf Tauris“.

Während ich später unseren türkisfarbenen VW Roadsurfer durch das spätsommerliche Ilmtal lenke, träumt Anna aus aus dem Fenster. Ob sie wie ich das Sonnenlicht betrachtet, wie es strahlenförmig durch die Wolken bricht und die Felder goldgelb zum Leuchten bringt? „Spürst du es auch?“ Anna meint das Gefühl von Ruhe und Gelassenheit. „Ja“, sage ich, „ich spüre es auch.“ Am nächsten Morgen parken wir am Schlosspark von Meiningen und machen uns auf den „Schillerwanderweg“. Durch Buchenwälder und das Werratal führt er ins idyllische Bauerbach, in dem Schiller auf seiner Flucht vor dem Stuttgarter Herzog Carl Eugen Unterschlupf fand. Nach Meiningen wanderte Schiller, wenn er Schnupftabak brauchte oder sich ein Theaterstück ansehen wollte. Für uns hingegen gibt‘s ein Konzert: An einer blühenden Obstwiese lauschen wir dem vielstimmigen Zirpen der Grillen im Gras. Dann geht es nach Jena weiter. 1789 nahm der mittlerweile gefeierte Dramatiker dort an der Universität einen Lehrstuhl an.

Der Ruf eines Rebellen, der gegen das strenge Regiment des Stuttgarter Herzogs angedichtet hatte, eilte ihm voraus; die Universität war in Aufregung, seine Vorlesungen bald so gut besucht, dass größere Räume gefunden werden mussten. Durch ein unscheinbares Tor in einer schmalen Gasse der Jenaer Altstadt betreten wir einen verwunschenen Garten. Die blauen Köpfe der Disteln schaukeln im Wind, eine Magnolie blüht. Rosen ranken an einer Laube empor. Es ist der Garten zu Schillers ehemaligem Wohnhaus. Wenn ihm der Trubel mit seinen vier Kindern dort zu viel wurde, zog er sich zurück in ein Gartenhäuschens, das gerade genug Platz bot für Schreibtisch und Stuhl. Himmelblau sind Wände und Decke. Das gab Schiller das Gefühl, unter freiem Himmel zu schreiben. Das also taten die Dichter, wenn sie mal nicht nach draußen konnten: Sie holten sich die Natur in die eigenen vier Wände. Und fanden auch zuhause Inspiration. Auch ich werde künftig an das tiefe Grün der Wälder, das Honiggelb der Felder, die volle Farbenpracht des Bauerngartens zurückdenken. In Decken eingewickelt träumen wir später auf unseren Klappstühlen in den Abendhimmel über dem Ilmtaler Campingplatz hinein, der den passenden Namen „Im Grünen“ trägt. Schiller hatte Recht: „Der Mensch braucht wenig. Und an Leben reich ist die Natur.“


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