Glücksmomente

Über kleine und große Schätze im Verborgenen

Jedes Jahr machen wir eine kleine, gemeinsame Reise. In Erfurt waren wir noch nie - Ich bin gespannt, was wir an einem Wochenende alles entdecken werden. Unser Weg führt uns zu den Wahrzeichen der Stadt, wie die Krämerbrücke und den Erfurter Dom. Aber auch zur Alten Synagoge. Und so tauchen wir ein, in die 900-jährige jüdische Kultur in dieser Stadt.

Diesmal gönnen wir uns einen Kurzurlaub über das Wochenende. Nur mein Mann und ich – ganz allein. Anlass ist immer unser Hochzeitstag. Dieses Jahr sind es 25 Jahre – Silberhochzeit! Was so alles in dieser Zeit passiert ist! Ich bin stolz auf uns und was wir gemeinsam gemeistert haben – und das wir an dieser Tradition festhalten und für zwei Tage dem Alltag entfliehen. In Erfurt waren wir noch nie, aber die knapp zwei Stunden Zugfahrt vergehen rasch.

Vom Bahnhof bis zum Hotel sind es nur 10 min Fußweg. Nach dem Check-in fragen wir bei der freundlichen Rezeptionistin nach, was wir hier unternehmen können. Ich möchte gern die Seele baumeln lassen, gemütlich schlendern, die Stadt erkunden und auch mal nett essen gehen. Oder ein bisschen shoppen, denn dafür habe ich sonst nie Zeit. Sie empfiehlt uns eine Route, die uns von der Krämerbrücke zum Dom St. Marien führt. Los geht’s! Die Krämerbrücke ist mir ein Begriff – sie zählt zu den wenigen durchgehend mit Häusern bebauten Brücken und ist quasi das Wahrzeichen der Stadt. So auch der Erfurter Dom, der imposant auf einem großen Platz thront und mit der St. Severikirche zu den gewaltigsten Bauschöpfungen des Mittelalters zählt. Aber was gibt es auf dem Weg noch alles zu entdecken? Ich bin gespannt!

Schnell merke ich, dass man einen Stadtplan eigentlich gar nicht braucht. Ich fühle mich wie im Mittelalter, bin verzaubert von den belebten Plätzen, prächtigen Bürgerhäusern und einer parkähnlichen Flussaue, die wir unweit der Krämerbrücke (mit Ihren hübschen Fachwerkhäusern und individuellen Läden) wie zufällig entdecken. Als wir etwas weiter laufen wird es ruhiger. Enge, schmale Gassen mit urigen Randsteinen, dreigeschossige Speichergebäude, altes Kopfsteinpflaster, auf denen unsere Schritte widerhallen. Ich schaue durch die Fensterscheiben in die hübschen Häuser oder erkunde vereinzelt Innenhöfe.

Blick auf die Westfassade der Alten Synagoge in Erfurt 

Blick auf die Westfassade der Alten Synagoge in Erfurt © Martin Kirchner, Thüringer Tourismus GmbH


Die Alte Synagoge: Museum und Exponat zugleich

Ein steinerner Torbogen in der Waagegasse weckt erneut meinen Entdeckergeist. Eigentlich ist es weniger der Torbogen, sondern die schlichte, steinerne Rosette am Dachgiebel des dahinter zum Vorschein kommenden Hauses. Neugierig gehe ich einige Meter weiter und finde heraus, dass es ein Museum ist. Auf dem Plakat an der modernen, gläsernen Eingangstür sehe ich ein großes Bild von einem prächtigen, goldenen Ring. Wir beschließen rein zu gehen und zu erkunden, was es mit diesem mittelalterlichen Gebäude und dem Ring auf sich hat.
In der kleinen, gläsernen Pforte werden wir herzlich begrüßt und betreten, mit dem Audioguide in der Hand, über den hellen Hof kommend, einen kleinen, dunklen Raum: Die Alte Synagoge. Die Tür schließt sich hinter uns und ich muss anfangs etwas zwinkern, um mich an das wenige Licht um mich herum zu gewöhnen. Ich bemerke riesige alte Balken an der tiefliegenden Decke. Eine kleine Schülergruppe, steht mitten im Raum. Die Audio-Stimme beginnt zu erzählen und Schritt für Schritt tauchen wir ein – ins mittelalterliche Erfurt und in 900 Jahre jüdische Geschichte. Wir erfahren von einer lebendigen, reichen Handelsstadt an der Via Regia, eine der größten mittelalterlichen Siedlungen des Heiligen Römischen Reichs. In der hinteren Ecke entdecke ich einen interaktiven Stadtplan. Ein Bildschirm zeigt eindrucksvoll, wie ausgewählte Bürger hießen, wo genau sie wohnten und welchen Überlebensängsten man in dieser Zeit ausgesetzt war. Aus Angst vor Pogromen oder der Pest versteckte man sein Hab und Gut, erfahren wir… Auch ein jüdischer Bankier namens Kalman von Wiehe tat das.


Wir tauchen noch ein bisschen tiefer ein und lauschen gebannt dem Audio-Guide. Seit dem 11. Jh. gab es hier in Erfurt eine jüdische Gemeinde, eine Kehila. So bezeichnet man Gemeinden mit Friedhof, Synagoge und Ritualbad (Mikwe). Die Alte Synagoge aus dem Mittelalter, in der wir jetzt stehen, wurde erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt. Ein echter Zufallsfund aus den 1990er Jahren mit Bauspuren aus dem 12. Jh.! Die am besten erhaltene, Synagoge Mitteldeutschlands ist heute also nicht nur ein Museum, sondern Exponat zugleich. Besonders gut gefällt mir die schlichte Lichtprojektion mit dem unscharfen Toraschrein an der rauen Wand. So könnte es in diesem jüdischen Gotteshaus vor knapp 1.000 Jahren ausgesehen haben…
Der Audio-Guide führt mich weiter ins Obergeschoss Hier entdecke ich meinen Mann wieder. Er liebt Bücher und blättert ganz vertieft in der hebräischen Bibel. Nicht richtig – digital natürlich. Auf dieser Etage sind mehrere mittelalterliche hebräische Handschriften, darunter eine beeindruckende Torarolle als Faksimiles ausgestellt. Mich beeindruckt jedoch die unerwartet, „andere“ Gestaltung und Atmosphäre des Raumes. Ich sehe alte Malereien mit Frauenbildnissen an den Wänden und entdecke umlaufende Emporen aus einer späteren Zeit, die mich eher an einen (in die Jahre gekommenen) Festsaal erinnern. Mein digitaler Begleiter verrät es mir: Das alte Gebäude hatte eine wechselvolle Geschichte. Die Synagoge geriet, nachdem die jüdische Gemeinde vertrieben wurde, in Vergessenheit, blieb unerkannt. Über viele Jahre war dieses Gebäude Lagerhaus, später mit einem Gasthaus verbunden und wurde bis in die Zeit des Nationalsozialismus sogar als Tanzsaal genutzt. Welch Ironie des Schicksals...


Jüdischer Hochzeitsring, ausgestellt in der Alten Synagoge in Erfurt

Jüdischer Hochzeitsring, ausgestellt in der Alten Synagoge in Erfurt  © Florian Trykowski, Thüringer Tourismus GmbH. Objekt im Bestand des Thüringischen Landesamtes für Denkmalschutz und Archäologie

„mazal tov“
Schicksal, Schatz & Hochzeitsring

Gemeinsam gehen wir nun noch hinab in den kleinen Gewölbekeller. Ein richtiger Schatzkeller, stellt sich später heraus. Mit einer faszinierenden Geschichte: Bei Bauarbeiten auf einem Grundstück in der Michaelisstraßen entdeckte vor ca. 20 Jahren ein Arbeiter ein altes Stück Metall. Was zuerst für Zinn gehalten wurde, entpuppte sich als Silberteller und war erst der Anfang eines unglaublichen Fundes. Denn dort, unter dem Mauerwerk eines Kellerzugangs fand man über neben mehr als 3.000 Silbermünzen sowie 700 Schmuckstücke aus dem Mittelalter, darunter beeindruckende Einzelstücke gotischer Goldschmiedekunst. Gesamtgewicht des Schatzes: Stolze 29,5 kg. Besonders beeindruckend: Ein prächtiger jüdischer Hochzeitsring aus dem 14. Jahrhundert. Das wichtigste Exponat des Erfurter Schatzes. Ich trete ehrfürchtig näher an die schlanke Vitrine in der Mitte des Raumes. Um ihn mir genauer anzusehen, hole ich mir eine der großen Lupen von der Wand am Eingang. Eine weitere Lupe reiche ich weiter an meinen Mann, der direkt neben mir steht. Der Ring ist fast 5 cm hoch und trägt ein prächtiges Miniaturgebäude - den Tempel von Jerusalem, welcher von zwei Fabelwesen getragen wird. Auf dem Dach steht in hebräischen Schriftzeichen „mazal tov“ – das bedeutet viel Glück. Unten sieht man zwei ineinander gelegte Hände – als Symbol für die Ehe und die Treue.
Wie unendlich schön, denke ich mir und schaue hinüber zu meinem Mann. Ich fühle meinen Hochzeitsring an meinem Ringfinger und lehne mich hinüber zu ihm. Etwas ergraut ist sein Haar inzwischen und lustige Fältchen schmücken seine Augenwinkel. Zutiefst zufrieden greife ich nach seiner Hand, die meinen Händedruck sanft erwidert. Manchmal braucht es keine weiteren Worte, um einander nah zu sein.

Bewegt und zutiefst berührt treten wir nach unserem Besuch der Alten Synagoge wieder auf die Straße. Für uns war es der ideale Einstieg in die Geschichte einer Stadt, die ihre Geheimnisse erst nach und nach offenbart. Und manchmal musste auch der Zufall hierbei helfen. Wir wollen noch mehr erfahren. Unser nächster Stopp wird die Mikwe sein – ein jüdisches Tauchbad, das der rituellen Reinigung dient. Nur wenige Gehminuten sind es von der alten Synagoge und der Weg führt uns zurück an die Krämerbrücke. Wir sehen als erstes den Schutzbau, der über dem Becken errichtet wurde. Über ein Fenster ist die Mikwe jederzeit von außen einsehbar. Wir haben uns für eine Führung entschieden, um noch mehr Hintergrundinformationen zu bekommen. Und so tauchen wir noch tiefer ein in die 900-jährige jüdische Kultur in dieser Stadt.

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